: „Blätter sind auf einmal Dreck“
Wer motorisiert und geräuschvoll Laub saugt, hat nicht nur einen Reinlichkeitswahn, sondern will auch die Welt beherrschen. Und sich per Lärm bemerkbar machen. Das glaubt jedenfalls der in Hamburg lebende Psychotherapeut Helmut Junker
HELMUT JUNKER, 73, stammt aus dem rheinland-pfälzischen Bad Bergzabern. Nach einer Professur für Psychotherapie und -analyse in Kassel siedelte er als Arzt und Psychotherapeut nach Hamburg über. Er pflegt seinen wilden Garten im gediegenen Westen der Hansestadt in liebevoller Handarbeit.
INTERVIEW JAN WEHBERG
taz: Herr Junker, warum sind Laubbläser und -sauger so beliebt, zumindest bei den Anwendern?
Helmut Junker: Dahinter liegt der tiefe Wunsch nach Beherrschung der Welt. Benutze ich eine Maschine, dann habe ich die Phantasie, dass die Maschine die Arbeit für mich macht. Ich bin der Herr über diese Maschine. Erledige ich die Arbeit mit der Hand, dann bin ich es nur selbst. Das Bedürfnis eines Mannes namens „ich lasse für mich arbeiten“ ist ganz tief verwurzelt in der Gesellschaft.
Ehrliche Handarbeit kann doch aber auch sehr befriedigend sein? Wenn der Hobbygärtner zum Beispiel denkt: Ich kann harken wie kein Zweiter.
Das mag stimmen, aber es bleibt trotzdem ein Phänomen. Ich kenne Kleingärtner, die für ihre winzigen Rasenstückchen alle nur denkbaren Geräte besitzen, Rasenkantenschneider zum Beispiel. Schaut man sich im Baumarkt um, dann sieht man doch die skurrilsten Gerätschaften. Von denen kann man sich teilweise gar nicht vorstellen, dass sie noch was mit Arbeitserleichterung zu tun haben. Die werden aber gekauft, weil dahinter der Wunsch steht, die Maschine möge es für mich tun. Und das sogar sauberer, als es der Gärtner könnte. Leider aber auch unlebendiger.
Und der Wunsch, die Umwelt zu gestalten?
Der ist natürlich auch vorhanden. Im Garten ist man König in seinem Reich, das kontrolliert und geformt werden kann. Die Maschinen sind in dieser Welt die Untertanen. Der Mensch kann im Gegensatz zum Tier technische Erfindungen machen. Neues schaffen.
Wer ist wohl besonders empfänglich für diese Geräte?
Ich glaube, dass es eher einfache Menschen sind, die da eine Waffe in die Hand kriegen. Sie würden sich nicht gedemütigt fühlen, wenn sie einen Rechen oder Besen in die Hand bekämen, aber sie fühlen sich durch die Maschine aufgewertet. Die aggressiven Gefühle, die sie sonst nicht haben dürfen, die können sie nun ausleben: Ich mache Krach!
Vergleichbare Verhaltensweisen in anderen Bereichen?
Es können auch Jugendliche sein. Denken sie nur an die Autos, die sie manchmal fahren. An die Auspüffe und den Krach, den die machen. Das ist scheinbare anale Macht.
Das klingt sehr nach Freud.
Ja, jetzt kommen wir in die analytische Phase. Die anale Phase nach Sigmund Freuds Entwicklungspsychologie, auch wenn die teilweise überholt ist. Aber dieses Gebaren hat etwas mit der heimlichen Freude am Furzen zu tun. In der Gesellschaft ist das verboten, aber mit einem gewaltigen Auspuff oder Laubbläser gibt es die Chance, das auszuleben. Im analytischen Bereich nennen wir das eine anale Thematik.
Klingt sehr komplex.
Ja, aber das geht noch einen Schritt weiter. Die Analität hat auch mit Reinlichkeit zu tun. Dieses Thema bezieht sich später möglicherweise auf einen größeren Rahmen: Sauberkeit in der Wohnung. Die soll am liebsten so rein sein, dass man vom Boden essen kann. Insofern ist es auch naheliegend, den Garten von allem zu säubern, von allem Gewürm und auch von Bakterien, die sind ja besonders böse. Böse, unheimlich und nicht zu kontrollieren. Das passt auch zur heutigen Allergieproblematik.
Das Laubsaugen also als Reinlichkeitswahn?
Ich glaube, dass diese Motivation, alles zu säubern, beim Blasen und Saugen eine Rolle spielt. Das setzt sich auch noch bei Herbiziden und Pestiziden fort. Auch das ist eine aggressive Chance. Auch wenn man noch so arm ist, kann man so gegen das Böse kämpfen. Im Sommer hat man sich noch an den Blättern erfreut, aber wenn sie am Boden liegen, sind sie auch etwas Böses. Die Blätter sind auf einmal Dreck, da wächst sogar Schimmel drauf. Die zu entfernen ist eine Erlaubnis zur Aggression. Sonst heißt es ja immer, sei sozial, sei nicht aggressiv.
Aber Laubsaugen ist immer noch besser als auf der Autobahn zu drängeln?
Ja, Drängeln kann tödlich sein. Aber auch die Sauggeräte sind aggressiv. In der Nachbarschaft gibt es ein Grundstück, das wird zweimal in der Woche von elf bis eins abgesaugt. Da wird jedes Blatt entfernt. Das ist so laut, dass ich kaum arbeiten kann.
Wie steht es aber mit der sozialen Komponente des Laubharkens? Mit dem Gespräch unter Nachbarn am Gartenzaun.
Sehr schön, ja. Es ist auch ein Stück moderner Einsamkeit. Das alte Prinzip, nach dem nicht die Maschine, sondern der Mensch im Mittelpunkt stehen sollte. Der Krach zerstört ja jede Kommunikation. Wenn man zum Laubbläser greift, kann man dieser aber auch aktiv entgehen. Wenn Menschen nicht mehr miteinander reden können, das ist doch ein Schock. Aber auch die Stadtarbeiter werden isoliert. Durch den Maschinenlärm können sie nicht mehr miteinander sprechen. Die sagen morgens Hallo und abends Tschüs.
Ist es nicht auch eine Chance für die Stadtreiniger, sich an der Gesellschaft zu rächen?
Sie meinen den studierten Soziologen und Hartz IV-Empfänger, der sich plötzlich als Ein-Euro-Jobber an seiner Umwelt rächen kann? Wir Analytiker nennen das einen masochistischen Triumph. Aber das wäre pathologisch. Ich denke, der arme Soziologe ist dann schon so geknickt, dass er dieses Gefühl nicht bekommen kann.
So stark ist der Leidensdruck?
Ich glaube schon. Denken sie auch an die Schäden an den Ohren und Augen, die auftreten können. Man muss sich mit einer Rüstung unnatürlich zwangsschützen, wenn man einen Laubsauger benutzen will. Das Gerät auf dem Rücken wirkt auf mich wie ein Flammenwerfer. Ja, warum flammt man nicht gleich alles ab? Das würden einige sicher gerne tun. Dann ist es gleich richtig weg. Und alles andere auch. Dann ist alles richtig sauber.