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Archiv-Artikel

In Vietnam grassiert jetzt die Cholera

Grund für die Ausbreitung der Durchfallerkrankung ist der sorglose Umgang mit Antibiotika, etwa auf Shrimps-Farmen

ANTIDEPRESSIVE FISCHE

Medikamentenrückstände bereiten auch in Europa Probleme: Wer Fisch verspeist, kann kostenlos und ungewollt eine Portion Antidepressiva zu sich nehmen. Speziell wenn es sich um Fische handelt, die ihr Leben küstennah oder in Binnengewässern und nahe den Abwasserrohren von Kläranlagen verbracht haben. In Fischen, die im Stadtgebiet von Stockholm gefangen worden waren, wurden nun Rückstände antidepressiver, blutdrucksenkender, entzündungshemmender und schmerzstillender Mittel festgestellt. Es sind vermutlich nicht in erster Linie Substanzen aus vom Verbraucher unsachgerecht entsorgten Tabletten, die sich im Fettgewebe der Fische anreichern, sondern das, was nach Gebrauch über Urin und Stuhl den Körper verlässt – und in den meisten Kläranlagen nicht abgebaut werden kann. Laut dem Stockholmer Umweltchef Åke Wennmalm wurden in Fischgallen Östrogenreste von Antibabypillen gefunden in gegenüber dem umgebenden Gewässer tausendfach erhöhter Konzentration. Nun sollen Arzneien hergestellt werden, die nicht fettlöslich und leichter abbaubar sind. Um das zu beschleunigen, schwebt Wennmalm die Einführung einer Art „Umweltsiegel“ vor: Der Konsument soll sich für die gut abbaubare Alternative entscheiden können. RWO

BERLIN taz ■ In Vietnam ist die Cholera ausgebrochen. Gesundheitsminister Nguyen Quoc Trieu sprach gegenüber Medien von rund 1.000 Patienten in Nord- und Zentralvietnam mit starken Durchfallerkrankungen – in 160 Fällen sei bisher der Choleraerreger nachgewiesen worden. Die Situation könnte sich verschlimmern: Zentralvietnam leidet unter Hochwasser.

Was die Behörden nicht sagen, ist unter Wissenschaftlern ein offenes Geheimnis ist: Der Choleraerreger hat sich bereits als resistent gegen Antibiotika erwiesen. Kein Wunder, denn Antibiotika werden in der Massen-Shrimps-Haltung, einem der Boomzweige des vietnamesischen Wirtschaftswunders, wie Futter verabreicht. Und wer es sich in Hanoi leisten kann, greift bei einem Schnupfen auch gleich zu einem Antibiotikum: Das kauft man frei in der Apotheke. Der Arztbesuch müsste ja aus der eigenen Tasche bezahlt werden, Apotheker verkaufen gern das, woran sie verdienen.

Noch vor zehn Jahren waren Antibiotika für fast jeden Hanoier unerschwinglich. Die Apotheken führten überwiegend Naturpräparate, und wogegen die halfen, erfuhr man von den Alten in den Familien. Die Gesundheitspolitik hat mit der rasanten Änderung nicht Schritt gehalten: Eine Verschreibungspflicht bei Medikamenten gibt es nicht.

Als eine der Ursachen der Bakterien, die starken Brechdurchfall mit hohem Fieber verursachen, wurde eine Shrimps-Paste ausgemacht, aber keine Sorte genannt. Das Gesundheitsministerium hatte verspätet reagiert – erst jetzt werden Patienten in Krankenhäusern auf Staatskosten behandelt und ihr Wohnumfeld desinfiziert, obwohl die Krankheit bereits seit Tagen grassiert. Der Grund für die verspätete Reaktion: Die typische Armutserkrankung, die eigentlich durch die fehlende Trennung von Abwasser und Gebrauchswasser verursacht wird, ist nicht in einer Armutsprovinz oder im Hochwassergebiet zuerst ausgebrochen, sondern in der boomenden Hauptstadt.

Doch der rasante Boom, den Vietnam seit den 90er-Jahren erlebt, führte zu Ungleichzeitigkeiten in der Entwicklung. Auch im Hanoier Umland züchten Menschen Fische und Enten im eigenen Teich, in dem sich das eigene Abwasser mit Düngerückständen aus der intensiven Landwirtschaft mischt und mit Schadstoffen, die die Schuh- und Textilfabriken der Hauptstadt ungefiltert in Luft und Wasser leiten. Über die Gefahren sind die Menschen kaum informiert.

Dass die Cholera über Flugpassagiere nach Deutschland kommen kann, hält Regina Kneiding von der Berliner Gesundheitsverwaltung für „sehr unwahrscheinlich. Die Krankheit bricht so plötzlich aus, dass Patienten kaum Interkontinentalflüge mehr durchstehen“, sagt sie. „Und die hygienischen Bedingungen sind bei uns so, dass sie sich durch einzelne Erkrankte nicht ausbreiten kann.“ In den vergangenen fünf Jahren gab es in Deutschland sechs Cholerafälle von Flugpassagieren, die behandelt werden konnten.

Und die EU prüft derzeit Einfuhrbeschränkungen für Lebensmittel: Meeresfrüchte aus Vietnam landen auch in deutschen Supermärkten und Asialäden. MARINA MAI