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Archiv-Artikel

Empathie mit einer Ware

BAUMWOLLE SPRICHT Daniela Löffner inszeniert in der Box des Deutschen Theaters unterhaltsam und schweißtreibend die globalisierungskritische Parabel „Das Ding“ von Philipp Löhle

Es war einmal ein Baumwollbüschel, das wohnte auf einem Strauch in Afrika, wurde gepflückt, nach China verschifft, zu Garn gesponnen, zum Fußballtrikot vernäht, nach Europa geflogen, mit Schweiß getränkt, durchschossen, vollgeblutet, weggeworfen und per Altkleidersammlung wieder zurück nach Afrika gebracht. So lässt sich die Geschichte von Philipp Löhles Stück „Das Ding“ zusammenfassen, das die junge Regisseurin Daniela Löffner in der Box des Deutschen Theaters hinreißend leichthändig inszeniert hat.

Löhle, unter den jungen Dramatikern der Experte für wirkungssichere Pointen, hat eine überzeugende Struktur mit origineller Perspektive gefunden: Indem er eine Globalisierungs-Parabel aus der Sicht der Ware erzählt, fängt er zugleich viel Lebenssaftiges von den Menschen ein, die sie herstellen, verkaufen und besitzen. So ist um die in persona auftretenden Baumwollfluse ein feingesponnenes Netz aus Figuren und Minigeschichten gelegt, die miteinander leitmotivisch verzurrt sind. Sie alle künden vom großen Zusammenhang der Kleinstereignisse. Löhle beharrt darauf, dass wir beteiligte Rädchen in einem weltweiten Ausbeutungskreislauf sind. Und fängt dabei, obwohl er die Komplexität weltweiter Warenzirkulation extrem herunterbricht, ziemlich viel vom krisengeschüttelten Heute ein.

Die Bühne der DT-Box quillt anfangs über vor lauter voller Baumwollflocken, getürmt wie zu einem riesigen Schaumbad. Eine Spielerin taucht aus den Trockenwogen auf, aus dem Off plätschert’s, und schon ploppt neben ihr ein zweiter Spieler aus der Wanne. Bald haben die beiden uns in die Anfänge ihrer rührend gewöhnlichen Love-Story verstrickt. Nach und nach stecken auch die anderen Mitspieler ihre Köpfe aus der weißen Wolle und springen auf den Szenenreigen.

Der knapp zweistündige Abend, selbst so leicht wie eine Fluse, kommt mit wenigen Requisiten aus (Bühne: Kristel Bergmann) und konzentriert sich ganz auf das Potenzial der tollen Schauspieler, die – bis auf die DT-Spieler Olivia Gräser und Christoph Franken – von der Ernst-Busch-Schauspielschule kommen: Aram Tafreshian, Iris Bescher, Christoph Franken, Kilian Ponert, Pascal Houdus und Moritz Peschke. Mit verspieltem Ideenreichtum pustet das Team Löhles Stück über die Bühne, dockt Improvisiertes an und schlüpft munter durch die Rollen. Wenn das Ding im Text betont naiv von Braunen, Gelben und Weißen spricht, ziehen sich die Spieler dunkle Strumpfhosen übers Gesicht, essen Nudeln aus der Pappbox oder erzählen als Schweizer blöde Ricola-Witzchen. Die Klischeefalle wird hier umgangen, indem man offensiv Stereotype häuft, diese aber nie als Realismus behauptet, sondern als Zeichen antippt, die den Figuren bloß kurz wie äußerliche Kostüme übergeworfen werden.

Das titelgebende „Ding“ macht Olivia Gräser zwischen anfänglicher Naivität und späterem Durchhaltevermögen in seinem Hin-und-hergeworfen-Werden geradezu zum Empathie-Zentrum der Inszenierung. Zur Verschiffung wird sie von den Mitspielern zu gemimten Möwenschreien in der Plastikplane umhergewälzt. Später formieren sich alle zur bedrohlich aufdampfenden Garnspinn-Maschine. Bestechend, wie Löffner die Produktionsprozesse dabei immer wieder in schweißtriefend sinnliche Körperbilder und damit nicht zuletzt auf die realen Konsequenzen vermeintlich abstrakter Vorgänge verweist. Dieses kleine „Ding“ – es wird uns so schnell nicht mehr aus dem Kopf gehen. ANNE PETER

■ 26./27. November, 4./8./9. Dezember im Deutschen Theater