: Bremen – ein Herbstmärchen
Werder gewinnt zu Hause gegen Karlsruhe mit 4:0. Märchenhaft funktionierte dabei das Kollektiv, nachdem an der Weser zuletzt oft nur von „Diego und den sieben Zwergen“ erzählt worden war
von RALF LORENZEN
Pünktlich zur Weihnachtszeit präsentierten letzte Woche Werder-Geschäftsführer Klaus-Dieter Fischer und Trainer Thomas Schaaf ein Hörbuch, auf dem Funktionäre sowie Spieler für einen guten Zweck Märchen vorlesen. Eher untypisch für die ansonsten bierernste Fußballwelt ist die selbstironische Auswahl der Texte. So liest der auf dem Kopf gestutzte Patrick Owomoyela „Rapunzel“ und Innensenator Willi Lemke stellt „Des Kaisers neue Kleider“ vor.
Dass auch Werders Bundesliga-Partie gegen den starken Aufsteiger Karlsruher SC märchenhafte Züge annahm, lag zunächst nur an den beiden riesigen Videotafeln. Die Zwischenstände von den Spielen der Konkurrenz verhießen: „Ihr könntet bald wieder die Schönsten im ganzen Land sein.“ Und dann war es wieder einmal Prinz Diego, der seine Mitstreiter und knapp 40.000 Zuschauer nach 25 Minuten aus dem seit der Champions League-Reise nach Rom andauernden Dornröschenschlaf riss. Mit magischem Zauberfuß schlenzte er den Ball aus 23 Metern über den zu weit im Feld stehenden badischen Torwächter hinweg.
Während das Verhältnis des Bremer Regisseurs zu seinen Spielkameraden bis vor kurzem noch stark an Schneewittchen und die sieben Zwerge erinnerte, werden die Wunder jetzt wieder von vielen vollbracht. Dabei taten sich in Abwesenheit der verletzten Torsten Frings und Frank Baumann besonders die lange verstoßen geglaubten Helden aus der Heimat von Hans Christian Andersen hervor. Zu Saisonbeginn schlichen die Dänen Daniel Jensen und Leon Andreasen mitunter verloren wie Hänsel und Gretel über den Trainingsplatz – gegen Karlsruhe spielten sie wie aufgedreht, schlugen schöne Pässe im Minutentakt, rissen jede Menge Löcher im gegnerischen Gewand und stopften genauso viele im eigenen. In der 45. Minute schickte Jensen, der mit 101 Ballkontakten fleißigste Spieler auf dem Feld, Diego mit einem wundersamen Volleypass aus dem Fußgelenk auf die lange Reise vors gegnerische Tor, die dieser zum 2:0 vollendete.
Den anfangs gleichwertigen Karlsruhern nutzte auch kein Zaubertrank im Pausentee – in der zweiten Halbzeit fühlten sie sich wie der Hase im Wettlauf mit dem Igel: Wo sie auch hinliefen oder hinspielten, immer war schon ein Bremer da. „Vor allem beim Spiel ohne Ball und beim Agieren vor dem Tor werden wir uns einiges abschauen“, übersetzte Karlsruhes Trainer Edmund Becker diese Erfahrungen in den Fachjargon.
Im Angriff, wo die Bremer Stürmer sonst oft genauso wenig zueinander finden wie die beiden traurigen Königskinder, zeigte sich der Schwede Markus Rosenberg anlässlich des 100. Geburtstags von Astrid Lindgren in prächtiger Form. Auch ohne dass dort eine Kerze leuchtete, fand er in der 66. Minute millimetergenau den Kopf von Hugo Almeida, der den Ball zum 3:0 ins Eck wuchtete. Und hinten ließen die Innenverteidiger bei den zahlreichen Flanken der Karlsruher nichts mehr anbrennen. Per Mertesacker fuhr als Kalif Storch wiederholt das längste Bein der Liga aus und dem standhaften Zinnsoldaten Naldo gelang per Kopf sogar noch das 4:0.
Für den Zuckerguss auf dem Lebkuchen sorgte schließlich Thomas Schaaf mit der Einwechslung von Carlos Alberto zu dessen erstem Einsatz seit fast drei Monaten. „Wir wollten ihm zeigen, dass wir auf ihn setzen, auf ihn warten und von ihm noch profitieren wollen“, sagte Schaaf. Passend dazu liest der Trainer auf der CD mit den „Bremer Stadtmusikanten“ eines der seltenen Märchen vor, in dem jene Spielform gefeiert wird, die seit der Regentschaft von Otto Rehagel an der Weser das Maß aller Dinge ist: das Kollektiv.