: Vergenderte Welt
FRAUENTAG Binnen-I, Unterstrich und Feministinnen, die sich Mädchen nennen: alles nur Sprachgedöns oder korrekte Begriffe in einer komplexen Gesellschaft?
■ Am Internationalen Frauentag erinnern Frauen weltweit an den Kampf für ihre Rechte im politischen, privaten und wirtschaftlichen Leben. Dabei geht es um Themen wie Gewalt, politische und soziale Teilhabe oder Gleichstellung im Arbeitsleben.
■ Die Idee stammt ursprünglich aus den USA. 1911 gingen erstmals Frauen in Deutschland, Österreich, Dänemark und der Schweiz zum Frauentag auf die Straße. Die Sozialistin Clara Zetkin setzte den 8. März während der 2. Kommunistischen Frauenkonferenz im Jahr 1921 als weltweites Datum durch.
■ Gewalt gegen Frauen ist laut Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) in Berlin quer durch alle sozialen Schichten ein drängendes Problem. Die Polizei habe 2014 insgesamt 15.254 Fälle häuslicher Gewalt erfasst, teilte Kolat am Freitag anlässlich des Frauentages mit. 9.024 Fälle von Körperverletzungen wurden laut Kolat der häuslichen Gewalt zugerechnet. Zwar seien sowohl die Zahlen zu häuslicher Gewalt als auch zu Körperverletzungen leicht rückläufig. Aber jeder einzelne Übergriff sei inakzeptabel. „Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen, Verwandte und Passanten dürfen nicht wegschauen“, so Kolat.
■ Aus Anlass des Frauentags will die iranische Exilopposition an die Rechte der Frauen im Iran erinnern. Zu einer Konferenz erwartet sie am Samstag mehr als 15.000 Teilnehmer im Velodrom. Als Ehrengäste und Redner sind unter anderen die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) sowie die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) angekündigt. (epd, dpa, taz)
VON SIMONE SCHMOLLACK
BerlinerInnen, Studierende, Bewohner_innen, Freund/innen, Migrant(en)/innen. Und jetzt noch Profx. Spinnen die?
Wer heute einen politisch korrekten Plural bilden will, hat es ganz schön schwer. Und je nachdem, wie frau (oder man) sich definiert und gesellschaftlich verortet, wird die eine oder die andere Form verwendet. Es gibt junge Frauen, die nennen sich Feministinnen und gleichzeitig Mädchen oder Girlies. Das eine schließt das andere nicht aus, behaupten sie. Viele finden das mit all den Zeichen in einem Wort absurd und sagen gern: „Liebe Kolleginnen und Kollegen.“
Das lässt manche ältere Frauenrechtlerinnen „unbefriedigt zurück“. Girlies, finden die Alten, haben kein richtiges Bewusstsein mehr für „Frauenfragen“. Für sie ist heute vieles selbstverständlich, wofür die älteren Feministinnen jahrzehntelang gekämpft hatten. Und schließlich gebe es noch viel zu tun: die Lohn- und Rentenlücken zwischen Frauen und Männern schließen, für mehr weibliche Führungskräfte sorgen, mehr Männer in Pflegeberufe bringen.
Ältere Feministinnen verwenden gern das Binnen-I, oft auch in der gesprochenen Sprache. Das hört sich ungefähr so an: „Neulich war ich mit meinen Nachbar Innen beim Kegeln.“ Vor dem Binnen-I machen sie eine Pause, um es dann besonders zu betonen. Oder sie malen mit Zeige- und Mittelfinger Gänsefüßchen in die Luft, die geschriebenen An- und Abführungszeichen.
Wenn ältere Feministinnen auf junge autonome Frauen aus dem linken Spektrum treffen, freuen sie sich. Beiden Gruppen gemein ist eine Vorliebe für genderkorrektes Supersprech. Die jungen Autonomen denken und sprechen nicht nur in den Kategorien Frau/Mann, sondern LGBT – Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender.
Ist eigentlich alles abgedeckt, nicht wahr? Nein, ruft da Lann Hornscheidt, eine Person, die Gender Studies und Sprachanalyse am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität lehrt. Wer Lann Hornscheidt eine E-Mail oder einen Brief schreibt, muss Hornscheidt-pc sein. Darauf weist Hornscheidt auf ihrer/seiner oder wem seine auch immer Homepage hin: „Wenn Sie mit Profx. Lann Hornscheidt Kontakt aufnehmen wollen, achten Sie bitte darauf, geschlechtsneutrale Anreden zu verwenden. Bitte vermeiden Sie alle zweigendernden Ansprachen wie ‚Herr ___‘, ‚Frau ___‘, ‚Lieber ___‘ oder ‚Liebe ___‘. Eine mögliche Formulierung wäre dann z. B. ‚Sehr geehrtx Profx. Lann Hornscheidt‘.“
Dann gibt es da noch ein paar Ostfrauen der „alten Schule“, die dieses Sprachgedöns einfach nur gaga finden. Sie bezeichnen sich nach wie vor als Lehrer, Bäcker oder Mannequin.
Es ist kompliziert. Sprache ist Denken, und Denken formt die Sprache. Wer seine Sprache erweitert, vergrößert seinen Horizont, kann sich dabei aber auch verheddern. Manches erscheint vielleicht klischiert, anderes wirkt fremd. Am Ende zählt nur: sich verständlich zu machen.
Zwei Generationen von Feministinnen treffen aufeinander – in der Begine SEITE 44, 45