: „Patienten rausgeschmissen“
Vor 60 Jahren wurde in Hamburg der Berufsverband der Heilpraktiker gegründet. Der erfahrene Heilpraktiker Ingo Höfle über die Geschichte seiner Berufsgruppe, über das Verhältnis zu den Ärzten und gegensätzliche Behandlungsansätze
INGO HÖFLE, 63, behandelt seit 1972 in seiner Naturheilpraxis. Der Physiotherapeut und Heilpraktiker lernte in China Akupunktur. FOTO: PRIVAT
INTERVIEW: JAN DREYLING
Herr Höfle, in der westlichen Gesellschaft gilt der Arzt als der Experte für die Heilung von Krankheiten. Warum gibt es dann den Heilpraktiker?
Ingo Höfle: Der Beruf des Heilpraktikers existiert, da die Schulmedizin große Bereiche bei der Behandlung nicht abdeckte. Mit dem Gesetz der Kurierfreiheit aus dem 19. Jahrhundert waren Tätigkeiten wie Verbände legen oder Blutegel setzen nicht mehr Arbeit der Ärzte. Aus der Übernahme dieser zunächst geringfügigen Arbeiten ist der Heilpraktiker entstanden.
Und warum kommen die Patienten heute zu Ihnen?
Die Naturheilkunde hat schon immer Lücken bei Behandlungen abgedeckt, insbesondere bei seelischen oder chronischen Krankheiten. Es gab die Erfolge der Naturheilkunde, bei denen der Heilpraktiker Patienten mit jahrelang andauernden chronischen Schmerzen heilte. Solche Erfolge verbreiten sich unter erkrankten Menschen. Heutzutage fragt sich selbst die Schulmedizin, ob man bei jeder Kleinigkeit Antibiotika verschreiben muss. An solchen Vorgängen erkennt man, wie die Heilpraktiker dazu beigetragen haben, das Denken in der Medizin zu verändern.
Nach dem Verbot des Heilpraktikerberufs während der Nazizeit gründeten sich schnell Verbände. Herrschte ein Vakuum an alternativen Heilberufen?
Ja. Während der Zeit des Verbots haben die Heilpraktiker trotzdem gearbeitet. Den Bedarf, Naturheilkunde auszuüben und in Anspruch zu nehmen, gab es immer. In Hamburg gründeten 1947 acht Kollegen um Hans Brix den Landesverband Hamburg der Deutschen Heilpraktikerschaft. Diese Kollegen hatten große Praxen für Naturheilkunde und nach dem Krieg einen riesigen Zulauf an Patienten.
Wie entwickelte sich das Interesse an alternativen Heilmethoden?
In der Nachkriegszeit erlebten die Methoden der klassischen Schulmedizin, wie Antibiotika- oder Kortison-Therapien, natürlich einen Aufschwung. Es gab aber auch immer Gegenbewegungen der Leute, die sich fragten, was man mit Naturheilkunde erreichen kann. 1975 hat Manfred Köhnlechner sehr viel für das Bewusstsein für Naturheilkunde unter der Bevölkerung getan. Er war zunächst Manager beim Bertelsmann-Verlag und wurde dann ziemlich schnell Heilpraktiker. Die Ideen der Naturheilkunde hat er wie ein Manager verkauft. Das war natürlich ein bisschen zweischneidig: Er hatte zwar nicht unbedingt die beste Ausbildung genossen, hat sich aber sehr qualifiziert dargestellt. Als Schreibertalent löste er mit Zeitungsartikeln und Büchern einen regelrechten Boom aus.
Wie reagierten approbierte Ärzte darauf?
Aus meiner langjährigen Erfahrung kann ich sagen, dass das Verhältnis zu den Ärzten teilweise sehr schwierig war. Methoden wie Akupunktur waren verrufen. Es gab Ärzte, die ihre Patienten aus der Praxis geschmissen haben, als sie erfuhren, dass ihr Patient bei der Akupunktur war. Patienten erzählten den Heilpraktikern meist, dass sie in ärztlicher Behandlung sind – nie aber umgekehrt. Manchmal ist das heute noch so, aber das Verhältnis hat sich gebessert.
Gab es Situationen, bei denen Sie persönlich diese Abneigung zu spüren bekommen haben?
Sicherlich. In meiner Zeit als Vorstandsvorsitzender hat mich der damalige Ärztepräsident von Hamburg gefragt, wen ich eigentlich vertrete. Ich sagte, die Heilpraktiker. Er antwortete, das sei doch kein Beruf.
Das liegt vermutlich auch daran, dass eine Ausbildung zur Erlangung des Heilpraktikerscheins nicht zwingend vorgeschrieben ist.
Das ist für unseren freien Beruf das größte Problem. Wenn wir uns vom Staat jedoch vorschreiben lassen würden, was eine Ausbildung beinhaltet, wären wir in unseren Therapiemöglichkeiten sehr eingeschränkt. So haben wir große Freiheit. Es ist Aufgabe der Verbände, eine qualifizierte und umfangreiche Ausbildung anzubieten und somit die Qualität unseres Berufes zu sichern.
Würde man ohne die Schulmedizin auskommen?
Nein, auf keinen Fall. Man sollte nicht behaupten, die eine Methode wäre gut, und die andere schlecht. Ich plädiere für eine tolerante Behandlung. Bei einer Lungenentzündung bekommt der Patient natürlich Antibiotika. Aber warum sich seine Lunge entzündet hat, wurde nicht unbedingt hinterfragt.
Ist das der Unterschied zwischen Arzt und Heilpraktiker?
Ja, das Denken ist ein ganz anderes. Flapsig formuliert: Robert Koch hat damals Bakterien für Krankheiten verantwortlich gemacht und dort die Behandlung angesetzt. Der Heilpraktiker fragt sich, warum diese Bakterien da sind. Gegenüber dem systemischen Denken steht bei uns das ganzheitliche Denken im Vordergrund. Das ist der große Unterschied.
Was denken Sie, wenn Forscher die Methoden der Heilpraktiker wissenschaftlich zu erklären versuchen?
Ich frage mich: Wie wollen sie homöopathische Methoden mit wissenschaftlichen untersuchen? Bei homöopathischen Medikamenten ist der Inhaltsstoff wegen der Verdünnung gar nicht mehr messbar. Trotzdem geben wir unseren Patienten zum Beispiel bei einer Schocktherapie eine sehr verdünnte Dosis an Opium, welche nicht nachweisbar ist. Und danach sind die Symptome des Krankheitsbildes weg. Auch die Vorgänge der klassischen Akupunktur kann man nicht zu 100 Prozent erklären. Vielleicht kann man in Zukunft irgendwie den Wirkvorgang nachweisen. Das wäre interessant. An diesem Punkt scheiden sich jedoch die Geister.
Der Erfolg wird also am Ergebnis festgemacht?
Ja. Es gibt einen alten Spruch: Wer heilt, hat recht. Ich denke, einem kranken Patienten ist es zunächst egal, wie er geheilt wird. Wichtig für einen Patienten sind eine Vertrauensbasis zur helfenden Person und die Aussicht auf Erfolg der Behandlungsmethode. Meinen Kollegen empfehle ich, seriös mit den Patienten umzugehen und ihre Grenzen zu erkennen. Einen Menschen mit Lungenkrebs kann man nicht rein homöopathisch behandeln. Man muss erkennen, wo Schulmedizin und Alternativmedizin ergänzend arbeiten können. Meine Krebspatienten gehen natürlich in chemotherapeutische Behandlung, aber es gibt unheimlich viele Möglichkeiten, Krebs begleitend zu behandeln.