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Archiv-Artikel

Rettet den Schlagzeilenwitz

KOHLE taz und „Süddeutsche“ experimentieren, um zu überleben. Ob Bezahlmodell auf sz.de oder Abo-Spende für taz.de: Vielfalt und Qualität kosten

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VON STEFAN PLÖCHINGER

Als Münchner Vorortkind der 80er Jahre, Kategorie kritisch-aufgeklärt-weltoffen, zumindest Möchtegern, erinnere ich mich immer gern an Momente jugendlichen Aufbegehrens. Szenen, in denen die geschützte Abiturientenwelt in Rebellenrouge getaucht wurde: Der erste Sticker „Frei statt Bayern“ im Schülervertretungsraum. Nacktbilder als Provokation in der Abschlusszeitung. Illegale Tunnelpartys am Autobahnring; Technoringelpiez mit der Polizei.

Und dann, als Erstsemester-Journalistenschüler, die frisch entdeckte CSU-Spöttelei der taz. Zum Oktoberfest 1997 schlagzeilte sie: „Massenintoxikation in München. Heute beginnt auf der Theresienwiese der bayerischen Hauptstadt der weltweit größte Rauschmittelexzess. Polizei rechnet mit Toten und Schwerstverletzten. Rotes Kreuz errichtet Ausnüchterungszellen direkt auf dem Festplatz.“ Wiesn-Zynismus, sprachlich gekleidet in die Drogenhysterie der Stoiber-Partei. Großer Witz, gerade für bayerische Bayern-Kritiker. An dem Tag abonnierte ich die taz. Mein erstes Abo – neben der SZ.

Ich denke an diese 18 Jahre alte Titelseite, weil mich beruflich gerade die Frage umtreibt, was Menschen heute noch dazu bringt, Zeitungen zu abonnieren – egal ob gedruckt oder in digitalen Medien. In wenigen Wochen wird die Süddeutsche Zeitung, die ich als Münchner Vorortkind natürlich noch lieber mag als die taz, ein sanftes Bezahlmodell einführen für ihre Internet-Seite sz.de, deren Chef ich bin. Für die SZ wird das ein riskantes Experiment, weil in Deutschland kaum jemand Vergleichbares versucht. Niemand weiß, wie viele ein Nichtbillig-Abo im Netz bezahlen werden und wie viele sich sagen werden: Servus, SZ! Inzwischen bin ich mir aber sicher, dass die gleiche Logik, die mich damals zum taz-Abo gebracht hat, auch in der digitalen Ära und auch für uns funktionieren dürfte. Wobei wir die superlustigen Schlagzeilen weiter der taz überlassen.

Die taz hat infolge von Anzeigennöten früh gelernt, dass sie nur mithilfe ihrer Leser überleben kann. Heute haben viele gedruckte Zeitungen Anzeigennöte, und bei wem noch Auflagennot dazukommt, der hat Existenzängste wie die taz in ihren ärgsten Zeiten. Die digitalen Medien boomen dagegen. Dort kriegen Leser allerdings kostenlos, was sie bisher im Gedruckten bezahlen mussten. Und leider bringen Anzeigen im Internet viel weniger Umsatz als einst in Print; die Erlöse stagnieren.

Wiesn-Zynismus, sprachlich gekleidet in die Drogenhysterie der Stoiber-Partei. Großer Witz

Die Chefredakteure aller Online-Seiten bemerken das, aber die wenigsten versuchen, was die gedruckte taz schon lange weiß: Wir müssen um die Unterstützung der Menschen werben, die unseren Journalismus lieben, und mit ihnen an der Finanzierung dieses Journalismus in der digitalen Welt arbeiten. Bei der taz ist es vielleicht ein Schlagzeilenwitz, der Leser zum Abonnieren bringt, bei der SZ anderes – am Ende müssen wir genau das sein: Zeitungen unserer jeweiligen Leser. Dann ist die Chance groß, in der digitalen Welt sowohl einen sicheren Platz als auch zu einer neuen Unabhängigkeit zu finden.

Die taz bittet ihre Nutzer im Netz jetzt sinngemäß um eine Spende – statt ein volles Bezahlmodell einzuführen wie wir: 5 Euro für Journalismus, der nun mal einiges kostet und im Grunde noch mehr kosten sollte, weil Journalisten kaum genug verdienen. Die taz sollte eigentlich wie in Print ein politisches Digitalabo anbieten, das zwei- oder dreimal so teuer ist; weil das nicht geplant ist, holen Sie sich bitte, wenn Sie es sich leisten können, gleich zwei oder drei Digitalabos.

Wieso? Weil das Geld aus dem Gedruckten dann irgendwann einfach nicht mehr reichen würde, weil die taz dann wirklich sterben könnte, was eine Schande für die Pressevielfalt wäre – und um das zu sagen, muss man diese Zeitung nicht mal lieben. Aber genug des Defätismus. Wunderbar ist, dass die taz wie wir in einen Experimentiermodus geschaltet hat. Statt wie mancher in der Medienbranche bloß zu lamentieren, weil sich viele Menschen heute auf anderen Plattformen informieren als auf bedrucktem Papier, versucht man halt was Neues und schaut, wie weit die Idee trägt. Falls sie weit trägt: wunderbar. Falls nicht, denkt man noch mal nach. In solchen Experimenten findet sich, glaube ich, irgendwann eine Lösung für die Finanzierungsnöte. Die taz hat da zum Glück Übung.

Stefan Plöchinger

■ ist Mitglied der Chefredaktion für Digitale Projekte bei der Süddeutschen Zeitung und Chef von sz.de.

Als Journalistenanfänger der frühen nuller Jahre habe ich mit einigem Glück eine Serie von zwei, drei Medienkrisen im Job überlebt. Meine Generation hat die ganze Zerbrechlichkeit der demokratischen Institution Journalismus vorgeführt bekommen. Der Kampf für ihren Erhalt ist unsere entsprechende Aufgabe, und sie ist eben auch die Aufgabe von Lesern.

In einer Zeit, in der „Lügenpresse“ zum Unwort des Jahres taugt und Verschwörungstheorien um angebliche Systemmedien sowohl Kommunikationskanäle als auch Hirne verstopfen, sollten beide Seiten innehalten. Wir Journalisten, weil wir uns unserer Rolle im digitalen Informationssystem neu bewusst werden müssen: Wofür schätzen Leser unsere jeweiligen Zeitungen, wenn nun unendlich viele Medien nebeneinanderstehen und durcheinanderpublizieren; wie werden wir den jeweiligen Erwartungen an unabhängigen Journalismus gerecht? Und mündige Leser müssen sich fragen: Wie können wir jenen Medien helfen, die wir wirklich schätzen? So sichern beide die Vielfalt, die eine Demokratie braucht.

Vielfalt kostet. Übrigens deutlich weniger als ein täglicher Coffee to go – selbst wenn man taz und SZ zusammen abonniert, und das nicht nur zu Münchner Preisen.