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Archiv-Artikel

EHER GRÜNDET DIE CSU EINE DIGITALE NIEDERLASSUNG IM DARKNET, ALS DASS DIE GROSSMUTTER MIKROBLOGGT? STIMMT GAR NICHT „Ick bün al dor!“

MAIK SÖHLER

Die Zeiten, in denen ich meiner Familie in digitalen Dingen „Ick bün al dor!“ zurufen konnte (wie im Märchen „Der Hase und der Igel“), sind längst vorbei. Foto- und Musiksoftware, Spiele und nun auch Onlinenetzwerke – sie sind „al dor“, während ich noch die Installationsanleitung oder die Datenschutzbestimmungen lese.

Zwar müssen die Kinder noch ein wenig warten, bis sie ihr eigenes Facebook-Profil bespielen können. Aber das macht nichts. Bis dahin will ohnehin niemand unter 30 mehr dort sein. Vor Jahren erzählte ein Freund, seine damals 14-jährige Tochter habe sich bei Facebook angemeldet, dann aber gesehen, dass er, also der Vater, weitere Verwandte und sogar Lehrer dort ein Profil haben. „Das ist ja ein Gammelfleischnetzwerk“, habe sie gesagt und sich wieder abgemeldet. Was damals selten war, ist heute, wie man hört, fast Standard.

Seit 2008 nutze ich Facebook, anfangs mehr, später weniger – auch der Chef war irgendwann da, ebenso meine Mutter. Kleine Gags über die Arbeit und das Elternhaus verboten sich, die Selbstzensur erstickte jegliche weitere Kreativität. Wenn man nicht mehr so kann, wie man will, wird das alles schnell fade.

Halb so wild, ich hatte ja noch Twitter und Tumblr. Vor allem Tumblr hielt ich lange für eine sichere Sache. Eher gründet die CSU eine digitale Niederlassung im Darknet, als dass meine Mutter mikrobloggt, dachte ich. Und lag damit falsch. Denn meine Mutter ist längst bei Tumblr. Meine Frau auch. Meine Tochter sowieso. Sie haben, ohne dass ich es mitbekommen habe, ein Tumblr-Familiennetzwerk errichtet.

Genauer: Meine Tochter hat das getan. Sie bloggt gern und viel, und damit die Familie es erfährt, hat sie meiner Mutter, ihrer Großmutter, via WhatsApp eine Anleitung geschickt. Darüber wiederum schreibt die Oma nun auf Tumblr und auch, wie sie sich freut, dass das Enkelkind ihr das alles schön und einfach aus Hunderten Kilometern Entfernung erklärt hat. Meine Tochter reagiert auf diese Posts, was wiederum meine Frau neugierig gemacht hat, sodass auch sie sich nun dort rumtumblrt.

„Ick bün al dor!“, rufen nun also alle außer mir, der Tumblr kaum noch nutzt. Statt mich wie einst an zu viel familiärer Nähe zu stören, freue ich mich. So relevant, interessant und unterhaltsam wie die ewige Selbstanfeuerung diverser Piraten auf Twitter und die Selbstvermarktung mancher Kollegen auf Facebook ist das allemal.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

DienstagSonja VogelGerman Angst

MittwochAnja MaierZumutung

DonnerstagRené HamannUnter Schmerzen

FreitagJürn KruseFernsehen

Montag Barbara DribbuschSpäter

Gut ist auch: Wer einer Großmutter via WhatsApp den Zugang zu und die Bedienung von Tumblr erklären kann, wird in den Sommerferien vor Ort alle onlinefähigen Geräte auf Stand bringen können – Updates des Betriebssystems, des Browsers, Virenschutz etc. Das war bislang meine Aufgabe, wenn ich mal die Eltern besuchte.

Ich gebe sie gerne ab – denn dann habe ich mehr Zeit für die Familie. Die aber leider nicht verfügbar ist, weil sie sich mit Tumblr oder mit Updates beschäftigt. Doch Hoffnung bleibt. Wie sagten es schon die Gebrüder Cree? „Erst wenn der letzte Post geschrieben, das letzte Profil eingerichtet und das letzte Update fertig ist, werdet Ihr offline merken: ‚Ick bün al dor!‘“