: Der Streit geht weiter
Der neue Vorstand der Jüdischen Gemeinde Hamburg hat Wirtschaftsprüfer auf die Gemeindefinanzen angesetzt. Das Ergebnis sieht düster aus. Nun streitet man, wer daran schuld ist
Am 22. August wurden der neue Vorstand und Beirat der Jüdischen Gemeinde gewählt. Auch die Wahl verlief nicht ohne Querelen. Danach dauerte es fast zwei Monate, bis sich der Beirat konstituierte. Grund war die wiederholte Anrufung des Schiedsgerichts durch verschiedene Beiratskandidaten. Neuer Vorstandsvorsitzender ist Ruben Herzberg. Sein Vorgänger Andreas Wankum ist nun Beiratsmitglied. JDE
VON JAN DREYLING
Die Zukunft der Jüdischen Gemeinde Hamburg sieht nach einer Prognose des Wirtschaftsprüfungsunternehmens BDO gar nicht rosig aus: Ändert sie ihren derzeitigen Haushaltsplan nicht, wäre die Gemeinde im Frühjahr 2009 zahlungsunfähig. Das würde wohl die Auflösung bedeuten.
„Mit der unabhängigen Analyse wollen wir endlich konkrete Zahlen vorlegen, wie es finanziell um unsere Gemeinde steht“, sagte David Tichbi, Mitglied des neuen Vorstands. Dieser wirft dem im August abgewählten ehemaligen Vorsitzenden Andreas Wankum einen undurchsichtigen Haushaltsplan und Misswirtschaft vor: Wankum habe die Ausgaben in den letzten Jahren unverhältnismäßig erhöht.
Die Gemeinde hat vor allem die 400.000 Euro Zinsen eines Kredits über fünf Millionen Euro abzuzahlen, den Wankum für Sanierungsarbeiten der Gemeinde-Immobilien aufgenommen hatte. Die im August wiedereröffnete Joseph-Carlebach-Schule (taz berichtete) sowie ein kürzlich abgeschlossener Vertrag über Jugendarbeit kosten die Gemeinde zusätzlich jeweils 150.000 Euro jährlich.
Diese Ausgaben könne die Gemeinde durch ihre geringen Einnahmen bei weitem nicht decken, so dass ein Defizit von jährlichen 300.000 Euro bleibe, heißt es aus dem neuen Vorstand.
Andreas Wankum, der CDU-Politiker und Mitglied der Hamburger Bürgerschaft ist, weist diese Vorwürfe zurück. Nach seiner Berechnung komme die Gemeinde trotz der Mehrausgaben auf einen jährlichen Überschuss von 170.000 Euro, er habe die Gemeinde somit in die schwarzen Zahlen geführt. Zudem seien die Sanierungsmaßnahmen wegen des maroden Zustands der Gebäude zwingend erforderlich gewesen. Dem jetzigen „links-sozialistischen“ Vorstand wirft Wankum vor, „wirtschaftlich keine Ahnung“ zu haben.
Der amtierende Vorsitzenden Ruben Herzberg, Schulleiter des Ganztagsgymnasiums Klosterschule in St. Georg, geht von anderen Zahlen aus. Die Analyse der Wirtschaftsprüfer zeige die „prekäre Lage“. Seit Jahren streitet die Jüdische Gemeinde über ihre Geldpolitik. Dabei hat sie sich in die zwei Lager um Wankum und Herzberg gespalten. Vorläufiger Höhepunkte der Auseinandersetzung waren jüngst die Nazi-Vergleiche, die ein Mitglied gegenüber Wankum anstellte. Daneben kursierte die Vermutung, Wankum habe Rücklagen der Gemeinde verdeckt ausgegeben. Ein Beobachter beim Senat vermutet hinter den Streitigkeiten mehr: Für ihn geht es um sehr verschiedene Ansichten, wie man eine Gemeindeleben gestaltet. Deswegen seien die Lager inzwischen tief zerstritten.
Fest steht, dass die Streitigkeiten kein gutes Licht auf die Gemeinde werfen. Und dass viele Mitglieder mit dieser Situation nicht zufrieden sind. Das zeigen rückgängige Mitgliederzahlen, die Trennung von der schleswig-holsteinischen Gemeinde und die Gründung des Vereins Liberale Jüdische Gemeinde Hamburg.
Der neue Vorstand will bis Dezember „konkrete Maßnahmen entwickeln, um die zu hohen Ausgabe zu senken“, sagt Herzberg. Danach soll es nicht mehr ums Geld, sondern wieder um Themen des jüdischen Gemeindelebens gehen.