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Archiv-Artikel

Eine Flucht ins Ungewisse

LIBANON Nachdem der Islamische Staat assyrische Christen entführt hat, wollen Hunderte christliche Familien aus Syrien fliehen. Doch die Grenzpolitik erschwert deren Einreise

„Wir sind wütend, dass die Weltgemeinschaft das geschehen lässt“

ERZBISCHOF GEORGE SALIBA

AUS BEIRUT JULIANE METZKER

Vater Yatron Koliana sitzt in seinem Büro in Beirut und lauscht angestrengt am Mobiltelefon. Die Verbindung zu seinem Gesprächspartner in der syrischen Region Khabur im Nordosten des Landes bricht ständig ab. Dort hatten vor gut zwei Wochen Milizen des Islamischen Staats (IS) etwa 220 assyrische Christen verschleppt. Daraufhin flohen hunderte Familien aus ihren Dörfern in die syrischen Städte al-Hasaka und Qamishli.

Seitdem spricht Koliana, Chorbischof der assyrisch-katholischen Kirche im Libanon, fast täglich mit Vater Zayia Haydo vor Ort. „Wir versorgen die geflüchteten Familien mit Essen und Medikamenten. Sie können nicht in ihre Häuser zurück“, sagt Haydo, als die Leitung endlich steht.

Übergriffe des IS in Dörfern der Khabur-Region nahe der irakischen Grenze hat es bereits in den vergangenen Monaten gegeben. Die Christen habe man aufgefordert, zum Islam zu konvertieren oder ein Kopfgeld für ihren Schutz durch den IS zu zahlen, bestätigt George Saliba, der assyrische Erzbischof im Libanon. „Was nun in Khabur passiert ist, erinnert uns stark an die Christenverfolgung durch die Terroristen in Mossul und anderen arabischen Regionen. Wir sind traurig und wütend, dass die Weltgemeinschaft das geschehen lässt“, fügt er hinzu.

Im Libanon leben bis zu 50.000 assyrische Christen. Die Gemeinde versucht nun, den Menschen zu helfen, die aus Khabur in den Libanon fliehen wollen. „Wir erwarten bis zu 800 Familien. Unsere Türen stehen für jeden offen, der eine Unterkunft braucht. Viele haben hier Verwandte. Andere werden wir in den Kirchen unterbringen“, sagt Vater Koliana. Doch erst einmal müssen die Flüchtlinge die Erlaubnis haben, die Grenze in den Libanon zu passieren, und die zu bekommen, ist nicht einfach.

Denn die Einreisebedingungen für Syrer sind strikt. Seit Beginn der Bürgerkriegs kamen über 1,1 Millionen Flüchtlinge, die die Lage in dem Vier-Millionen-Einwohner-Staat stark belasten. Im Januar zog die Regierung die Notbremse. Seitdem dürfen nur noch Syrer mit einem gültigen Visum oder einem libanesischen Bürgen einreisen.

Tagelang haben Koliana und andere Kirchenoberhäupter mit den Behörden über die Grenzöffnung für die Flüchtlinge aus Khabur verhandelt. Druck kam auch von libanesische Assyrern, die mit Parolen wie „Rettet die Christen in Nahost“ in Beirut auf die Straße gingen. Schließlich bewilligte der libanesische Innenminister Nuhad Machnuk die Aufnahme der Assyrer, mit der Begründung, dass es sich um einen humanitären Notfall handle.

Doch auch Tage nach der Einreisegenehmigung hätten erst etwa 20 Flüchtlinge aus Khabur die libanesische Grenze passiert, berichtet Vater Koliana. „Wir haben eine Liste mit Namen an die Grenzposten geschickt. Wer in den Libanon einreisen will, muss vorweisen, dass er Assyrer ist – entweder mit einem Taufzertifikat oder mit einer Bestätigung durch die assyrische Kirche in al-Hassaka. Dabei ist der Großteil der assyrischen Flüchtlinge noch auf dem Weg über Damaskus an die libanesische Grenze.

Die Angst der arabischen Christen vor dem Islamischen Staat wächst mit jedem Tag. Kurdische und christliche Milizen kämpfen gemeinsam gegen IS-Kämpfer in Khabur. In einem Interview mit Voice of America fordert Kino Gabriel, Anführer des assyrisch-aramäischen Militärrats, Waffenlieferungen an die kurdisch-assyrische Allianz, um die Dschihadisten zu vertreiben. Auch im Libanon rüsten sich einige christliche Gruppen gegen Angriffe des IS entlang der libanesisch-syrischen Grenze. Erzbischof Saliba ist darüber geteilter Meinung: „Die Kirche ist natürlich gegen die Bewaffnung der Christen. Dennoch ist es jedem freigestellt, gegen die Terroristen in den Kampf zu ziehen.“