Arendt-Preis für Israel-Kritiker

Die Bremer Jüdische Gemeinde kritisiert die Vergabe des Hannah Arendt-Preises an den New Yorker Historiker Tony Judt. Der kritisiert die Israel-Lobby in den USA und plädiert für ein binationales Israel

Der Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken wurde 1994 von Publizisten, Politikern und Wissenschaftlern in Bremen ins Leben gerufen. Er wird vom Senator für Bildung und der Heinrich-Böll-Stiftung finanziert in Erinnerung an die deutsch-jüdische Philosophin Hannah Arendt (1906–1975). Dieses Jahr wird der Preis am 30. November 2007 um 18 Uhr in der Oberen Rathaushalle in Bremen verliehen. Preisträger Tony Judt wird einen Vortrag halten, Laudator ist der ungarische Philosoph und Publizist Gaspar M. Tamas. In Erwartung einer Israel-Debatte ist für Montag, den 1. 12. im Institut Français in Bremen ein „Diskussionsforum“ mit Tony Judt geplant. Das Thema: „Bedrohung und Politik“. TAZ

Von KLAUS WOLSCHNER

Dass die Verleihung des Hannah-Arendt-Preises an den Historiker Tony Judt zu Debatten führen würde, war klar – und anscheinend doch überraschend. In der Begründung der Jury für die Wahl des Preisträgers wird auf dessen kritische Position zu dem Staat Israel nicht eingegangen. Die Jury will Tony Judt würdigen „als eine Persönlichkeit, die sich in der öffentlichen Debatte über Europa und den Westen auf vielfältige Weise engagiert“. Er sei ein „Historiker, der weiß, dass historische Ereignisse nicht ohne ihre vielfältigen Kontexte verstanden werden können“, ein „politischer Denker, der seine Sicht auf die Geschehnisse der Zeit in die öffentliche Kontroverse einbringt“, schließlich sei er ein „politischer Essayist“ und „streitbarer Zeuge seiner Zeit“. Die Jury bezieht sich auf sein 2005 erschienenes Buch „Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart“.

Im vergangenen Jahr sollte Judt, Leiter des Remarque Institute an der New York University, im polnischen Konsulat einen Vortrag über Israel-Lobbyismus in der amerikanischen Außenpolitik halten. Als das polnische Generalkonsulat den Vortrag kurzfristig absagte, gab es eine große Debatte um die Meinungsfreiheit in den USA.

Judt, in seiner Jugend Zionist, plädiert heute für einen „binationalen Staat Israel“, in dem Palästinenser und Juden zusammenleben sollen. In einem Essay für die New York Review hat er formuliert, Israel sei ein Anachronismus und die Frage aufgeworfen, ob in der heutigen Welt für einen jüdischen Staat Platz sei. Das ist der Punkt, an dem jetzt auch die Jüdische Gemeinde Bremen mit einem offenen Brief interveniert. „Sein Programm des binationalen Staates ist, nach treffenden Worten Leon Wieseltiers, keine Alternative für Israel, sondern die Alternative zu Israel“, schreibt Elvira Noa für das Präsidium der Jüdischen Gemeinde. Dieser Aspekt der Bedeutung des Historikers Judt werde „in der Jurybegründung mit einem großem Schamblatt zugedeckt“. Judt verbreite „die offizielle palästinensische propagandistische Sicht auf die Geschichte“. Er sei als Historiker bei weitem nicht so anerkannt und gepriesen wie als Israel-Kritiker.

In der Tat ist Judt in den USA vor allem durch die Auseinandersetzung mit der Israel-Lobby in den Medien bekannt geworden. Er verbindet seine Kritik der Israel-Politik der USA mit einem Angriff auf die Legitimation der amerikanischen Juden: „Amerikanische Juden sprechen nicht Jiddisch, auch nicht Hebräisch, sie gehen nicht in die Synagoge, sie sind völlig amerikanisch“, sagt er. „Ihr Judentum bestimmt sich durch zwei Momente: durch eine Identität im Raum, das ist die Identifikation mit Israel, selbst für jene, die niemals dort waren. Und durch eine Identität in der Zeit, eine Identifikation mit Auschwitz. Jude sein in Amerika bedeutet, Auschwitz erinnern und Israel unterstützen, weil Israel der beste Schutz vor einem neuen Holocaust ist.“

Wohlwollende Kritiker nennen Judts Position zum gemeinsamen Staat von Juden und Palästinensern naiv. „Tony Judts Vorschlag, der als Jugendlicher eine hebräische Schule besuchte, im Haus seiner Großeltern mit jiddischer Kultur erzogen wurde und nach der Schule ein Jahr in einem israelischen Kibbuz lebte, ist eher der Ausdruck politischer Verzweiflung vor dem Hintergrund einer lebenslang favorisierten linkszionistischen Utopie denn ein ernsthaftes politisches Programm“, meinte etwa Micha Brumlik in der taz.