: Weg von Zweigeschlechtlichkeit
X-FORM Sprachveränderungen können gesellschaftlichen Wandel ankurbeln, doch die Widerstände sind erheblich, erklärt Professx Lann Hornscheidt
■ Professx für Gender Studies und Sprachanalyse an der Humboldt-Universität Berlin. 2014 sorgte x für Diskussionen mit der Idee, geschlechtsunabhängig als „Professx“ angesprochen zu werden. Foto: privat
INTERVIEW MARION BERGERMANN
taz: Lann Hornscheidt, wie erklären Sie sich die starke Abwehrhaltung gegen Ihren Vorschlag, geschlechtsbestimmende Pronomen durch ein x zu ersetzen?
Lann Hornscheidt: Weil Zweigeschlechtlichkeit infrage zu stellen eine hohe Irritation für viele ist. Einige können mit Irritationen nicht konstruktiv umgehen, sondern lehnen sie schlicht ab. Es gibt eine allgemeine Tendenz in der geschützten Anonymität des Internets, andere fertigzumachen. Und weil ich eine Professur habe. Die x-Form habe ich ja nicht erfunden, sie ist schon lange im Umlauf. Solange so etwas in einer kleinen Gruppe bleibt, interessiert sich die Allgemeinheit nicht dafür. Wenn aber eine Person, die für Wissenschaft an der Uni steht, so etwas sagt, müssen Leute nachdenken, was Wissenschaft „darf“.
Warum fühlen sich Menschen, wenn es um Geschlecht geht, schneller angegriffen als bei anderen gesellschaftlichen Themen?
Ich sehe eher eine Ähnlichkeit, wie sehr Menschen sich bei Geschlechterthemen aufregen und wie stark bei Flüchtlingspolitik. Die Aufregung ist dann hoch, wenn es um Privilegien und Machterhalt geht. Rassismus und Sexismus spielen da gerade eine große Rolle. Anderes ist im Moment einfacher zu vereinnehmen, Homosexualität etwa.
Das hat aber ja auch lange genug gedauert.
So ist das mit sozialen Veränderungen. Wenn es noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen wäre, dass es hier und nicht nur anderswo ein Problem mit Sexismus gibt, dann würde im Moment nicht so massiv dagegengehalten. Die Gesellschaft basiert darauf, dass Zweigeschlechtlichkeit auf vielen Ebenen präsent ist.
Was verbessert sich denn wirklich dadurch, Sprache diskriminierungsfreier zu handhaben?
Sprachveränderungen trugen schon immer zentral dazu bei, soziale Veränderungen anzukurbeln. Das wird dann heruntergespielt, etwa dass Sprache keine Rolle spiele. Wenn das so wäre, müssten Leute sich nicht so darüber aufregen. Außerdem sollte sich nicht weniger auf Geschlecht bezogen werden. Es gilt eher zu überlegen, wann dieses eine Rolle spielt. Und nicht so zu tun, als könnten wir gerade eine geschlechtsneutrale Sprache haben. Das würde Sexismus nur verdecken.
Die Diskussionen über das x sind Sie wahrscheinlich ein bisschen leid. Was wünschen Sie sich für Geschlechterdebatten in den nächsten 15 Jahren?
Ich wünsche mir, dass sich der Fokus verändert: weg von Geschlecht hin zu sich überschneidender Diskriminierung. Wenn ich glaube, ich kann Sachen allgemein sagen, etwa, dass etwas für alle Frauen gilt, dann ist es wahrscheinlich, dass ich das aus einer privilegierten Position sage. Es ist heute nicht mehr möglich, über Geschlecht zu reden und Rassismus nicht mitzudenken. Es spielt immer zusammen eine Rolle. Genauso mit Diskriminierung aufgrund von Behinderung oder sozialer Klasse. Ich will und kann nie forschen, ohne dass ich diese Diskriminierungsformen für mich ständig mit zum Thema mache.