: Gespielte Relektüre
ROLLENTAUSCH Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ im Deutschen Theater: Man setzt ganz auf den Text und überzeugt schauspielerisch
Schlagt nach unter „Zweitverwertung“. Es ist schon komisch, dass der Weg eines erfolgreichen Romans heutzutage erst ins Radio führt (Hörspiel) und gleich anschließend ins Theater. Am Ende, wenn es sehr gut läuft, kommt dann der Film. Die Frage ist nur, wieso eigentlich.
Einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Romane des letzten Jahres war „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf. „Tschick“ erzählt eine Räuberpistole, eine Abenteuergeschichte, die sich um zwei pubertierende Jungs aus einem Berliner Randbezirk dreht, die, jeweils vernachlässigt und eher unfreiwillig in Außenseiterrollen, pünktlich zu den Sommerferien durchbrennen und sich mit einem geklauten Lada auf den Weg in die Walachei machen. Logisch: Sie kommen nicht weit. Aber am Ende gibt es auf jeden Fall eine Menge zu erzählen, und das übernimmt im Buch zumindest der eine der beiden, der deutsche Junge namens Maik.
In der Bühnenfassung, die jetzt in der sogenannten Box im DT, dem Deutschen Theater, Premiere hatte, übernehmen gleich beide Protagonisten das Erzählen, und zwar auch immer abwechselnd und im lustigen Rollentausch. Sprich: Sven Fricke und Thorsten Hierse sind jeweils mal Tschick, mal Maik. Manchmal sind sie auch die anderen Figuren. Was Regisseur Alexander Riemenschneider nach der Bühnenfassung von Robert Koall da auf die Bühne gebracht hat, ist eher spartanisch angelegt: ein eindeutiges, unveränderliches Bühnenbild, ein einsamer Cowboy als Gitarrist auf der rechten Bühnenseite (Arne Jansen), zwei Schauspieler und eine Menge Originaltext. Das war es im Wesentlichen.
Irgendwann im letzten Drittel des Stücks taucht dann noch Natalia Belitski auf, die die Göre vom Müllplatz spielt, auf dem die beiden jungen Helden irgendwann auf der Suche nach einem Benzinschlauch landen – aber zur Hälfte wird auch ihr Auftritt von den beiden Jungs gespielt. Dieser Trick, wenn es denn einer war, hat gut funktioniert: Auf nachgespielte Szenen wird größtenteils verzichtet, stattdessen baut man auf den Text und seine klar vorhandene Qualität – man baut also auf eine Art spielende Nacherzählung.
Das funktionierte an diesem Samstagabend in der kleinen Box am DT vor allen Dingen deshalb, weil mit Fricke und Hierse zwei verdammt gute Nachwuchskräfte den Job machten. Und dies hauptsächlich über ihre Körper. Sie stellten schon an sich dar: Hierse einen sensiblen, aber zum Handfesten bereiten jungen Mann, Fricke einen nerdigen Grübler mit Humor. Diese Mischung machte auch die Identitätswechsel möglich. Und plausibel.
Am Schluss war die Begeisterung im Publikum entsprechend groß. Trotzdem muss man sich zweierlei Fragen stellen: Erstens: Wie sehen und hören Leute das Stück, die das Buch nicht kennen? Die Bühnenfassung, so schien es, funktionierte eben auch wie eine Art gespielte Relektüre. Als gute Auffrischung. Und zwei gute Schauspieler und ein westernartiger Livesoundtrack täuschten darüber hinweg, dass man im Theater sitzt. Die Bedeutungsebene liegt allein im wiedergegebenen Text und bleibt da. Die Bühnenfassung, und damit kommen wir schon zur Antwort auf die zweite Frage, lieferte also keinen eigentlichen Mehrwert, der über die Präsenz zweier sympathischer und gut wirkender Darsteller hinausgeht. Wozu also Theatralisierung?
Das Buch kommt, wie in dieser Zeitung bereits geschildert, unterhaltsam und lustig und mit blendender Oberflächenstruktur daher, es hat bei genauerer Betrachtung aber auch Schwächen. Dass der Stoff von „Tschick“ eher nach Verfilmung schreit, weil das Buch auch mit hollywoodesken Bildern arbeitet, die in dieser Bühnenumsetzung meist unter den Tisch fallen, ist noch ein anderes Thema. Bleibt zu sagen: Von Fricke und Hierse ist in Zukunft noch einiges erwarten. Das Buch sollte man lesen. Die Bühnenfassung kann man, wenn man will, dann noch mitnehmen. Muss man aber nicht. RENÉ HAMANN
■ Wieder am 18., 21. und 23. Dezember in der Box des Deutschen Theaters