Das Schweigen hinaufrudern

LYRIK Während in Stockholm die offiziellen Feierlichkeiten rund um den Literaturnobelpreis beginnen: eine Einladung, sich mit dem Werk des diesjährigen Preisträgers Tomas Tranströmer zu beschäftigen

Eine klare lyrische Bildsprache, die dennoch unaufhörlich Übersetzung einfordert

„Ich werde durchleuchtet, / und eine Schrift wird sichtbar / in mir, / Worte in unsichtbarer Tinte, / die hervortreten, / wenn das Papier übers Feuer gehalten wird!“ Dieser Satz steht in der Mitte des Gedichts „Längre in“ (Weiter hinein) von Tomas Tranströmer. Die lyrische Formel liest sich nicht nur wie die Miniatur einer Poetologie – sie ist eine. Man könnte auch mit Peter Rühmkorf sagen, in der Passage steckt das „Palmenmark“ der Gedichte des Schweden, der am Samstag in Stockholm den Nobelpreis für Literatur erhalten wird; heute Nachmittag wird seine traditionelle Nobel-Lecture verlesen.

Vielleicht gefiele ihm sogar Rühmkorfs Chiffre. In ihr kreuzen sich zwei der Natur Skandinaviens entlehnte – ebenso milde wie archaisch schroffe – Leitmotive Tranströmers: das Meer und der Wald. Mit seinem Debüt „17 dikter“ (17 Gedichte, erschienen 1954) legt der damals 23-Jährige ihre Spuren in sein knappes, weniger als 500 Seiten umfassendes Werk – um sie herum gruppiert er einen großen Teil seiner lyrischen Wahrnehmung. Im dreiteiligen Gedicht „Herbstliche Schären“ wird „der Wanderer hier der alten / Rieseneiche“ begegnen. Später „rollt das Meer tosend heran im Lichte, kaut blindlings an seinem Zaumzeug aus Tang und schnaubt / Schaum über den Strand“.

Tranströmer wird 20 Jahre später Meer und Wald im prosaisch eingefärbten Küstenporträt „Östersjoar“ (Ostseen) – das als komplexes genealogisch-familiäres Einzelwerk einen besonderen Platz in seinem Oeuvre beansprucht – unspektakulär, aber behutsam vereinen: „Der Wind geht durch den Tannenwald. Es rauscht schwer und leicht. Auch mitten auf der Insel rauscht die Ostsee, tief im Walde ist man draußen auf offener See.“

In all dem liegt ein Frieden, in den sich Tomas Tranströmer immer wieder – auch sprachlich – wird zurückziehen können. 1996, sechs Jahre nach einem Schlaganfall, der ihn physisch bis heute stark einschränkt, bilanziert er in einem Haiku „Eichen und der Mond. / Licht und stumme Sternbilder. / Das kalte Meer.“ Um diese Einkehr ins sprachlich reine Naturell des Ewigen kreist 50 Jahre lang Tranströmers konsequente Entwicklung einer klaren lyrischen Bildsprache, die sich aus einer sensibel-intuitiven, kristallinen Wahrnehmung speist und unaufhörlich Übersetzung einfordert.

Gefühle umarmen

Der Kraftakt, einen seelischen Moment „buchstäblich“ zu konservieren, wird für den studierten – bis zum Ruhestand 1980 im Beruf tätigen – Psychologen Tomas Tranströmer etwas, das die Grenzen des Sagbaren nach seiner Krankheit schmerzlich auslotet: „Und der Schwarm der Pocken holte ihn ein, / stieß nieder auf sein Gesicht. / Er liegt da und starrt und starrt zum Dach hinauf. // Wie sich’s das Schweigen hinaufruderte. / Der ewig rinnende Fleck des Jetzt / der ewig blutende Punkt des Jetzt.“

Die Zeilen stammen aus dem Gedicht „Von der Insel 1860“ (1996). Ohnehin ist Zeit für den schwedischen Dichter eine Dimension, mit deren Ebenen er fließend zwischen Vergangenheit und Zukunft mal bedächtig, mal impulsiv, aber immer gekonnt spielt. Erinnerungen „verschmelzen mit dem Hintergrund“, werden schließlich „perfekte Chamäleons“.

Unter dem Vergehen der eigenen Geschichte, unter dem „Neigungswinkel des Daseins“, wie es Paul Celan 1960 poetologisch auf den Punkt brachte, der ebenso wie Tranströmer stets den symbolistisch-hermetischen Traditionslinien verhaftet war, entstehen seine Metaphern. Sie sind die Herzstücke einer Lyrik, die ihren Autor wirklichkeitsschaffend als einen stillen Magier der Sprache auszeichnen. Metaphern, die Gefühle umarmen, umfassen und unumstößlich ausstellen. Gefühle, die kommen „so gefroren, dass man sie für Gedanken hält“, wie im Gedicht „Neunzehnhundertachtzig“ im Band „Det vilda torget“ (Der wilde Marktplatz, 1983). Unter diesem Diktum wird der Klang der Nachtigall zur hellen „Sense des Nachthimmels“, tanzen die Sonnen „im Kaleidoskop der Tränen“ und werden die Worte selbst schließlich „außerhalb der Reichweite schimmern, wie Silber, bei einem Pfandleiher“.

Verschanzt hinter Sprache

All das mag sicherlich im Falle von Tomas Tranströmer schnell zu dem Vorwurf führen, da verschanze sich einer hinter der eigenen Sprache: ein Dichter, der sich nur hinter seinen absoluten Bildern versteckt und schwer atmet. Da hilft sein 1962 erschienener Gedichtband „Den halvfärdiga himlen“ (Der halbfertige Himmel). Das Frühwerk kommt leichtfüßig und einladend daher. Es organisiert sich durch klare reduzierte Sätze. Darin enthalten ist die kleine lyrischen Szene „Espresso“, die „Inspiration, die Augen zu öffnen“, welche die Welten und Träume des Nobelpreisträgers verheißt.

Dennoch, die Lektüre verlangt viel, beschenkt den, der sie unternimmt, aber reich. Nicht zuletzt, weil Hanns Grössels kunstfertige deutsche Übersetzung verhindert, dass man sich in den oft musikalisch eingefangenen Bewusstseinsgezeiten verlaufen kann. Tranströmers Gedichte muss man letztlich handhaben wie das Papier, das der Dichter stets über das Feuer hält. Es sind in Gänze Briefe „mit Marken, die glühten“. JAN SCHEPER

■ Das Werk Tomas Tranströmers erscheint auf Deutsch im Hanser Verlag. Im Hörbuch-Verlag erscheinen in diesen Tagen der Prosatext „Die Erinnerungen sehen mich“ sowie Gedichte, gelesen von Hanser-Verleger Michael Krüger, 2 CDs, 12,99 Euro