piwik no script img

Archiv-Artikel

Hinter den Masken

EDEN Peter Dörflers Dokumentarfilm „The Big Eden“ zeigt einen Mann, der das Leben liebt: Rolf Eden, Nachtclubbesitzer, Playboy, Oberfläche, Berliner Ikone

„Nach dem Tod gibt’s nichts, ich möchte jede Sekunde schön leben“

ROLF EDEN

Es beginnt mit der Frage seiner Freundin aus dem Off: „Denkst du manchmal an den Tod?“ Das braungebrannte, dreimal geliftete Gesicht des Multimillionärs antwortet: „An den Tod denk ich nie. Da kann man gar nicht dran denken. Da ist man weg. Wie ’ne Fliege oder eine Kakerlake. Nach dem Tod gibt’s nichts mehr, und deshalb möchte ich bis dahin jede Sekunde schön leben.“

In dem wunderschönen, langen Vorspann von Peter Dörflers („Der Panzerknacker“; „Achterbahn“) Dokumentarfilm über Rolf Eden sieht man den 81 Jahre alten Playboy – ein Wort aus einer längst vergangenen Zeit – vor weißem Hintergrund divenhaft posieren. Dann wird gezeigt, dass das schöne Leben des Rolf Eden Arbeit ist. Viel Zeit muss der öffentlichkeitssüchtige Lebemann vor dem Spiegel verbringen, bis er in den Zustand kommt, sich und den beobachtenden Kameras zu gefallen.

Was er sagt, ist simpel. Wenn es ein anderer sagen würde, würde man ihn für verrückt erklären. Man braucht Geld. „Und wenn man Geld hat, hat man Frauen.“ Und wenn man Frauen hat, ist das Leben schön. Den Frauen spendiert Eden gerne eine kleine Schönheitsoperation, damit sie noch besser seinen Vorstellungen entsprechen und das Leben noch schöner wird.

Rolf Eden wurde 1930 in Berlin als erster Sohn eines jüdischen Unternehmers geboren. Die Familie emigrierte 1933 nach Palästina. Der Vater eröffnete in Haifa ein Hotel. Mit 18 musste Rolf im Gründungskrieg zwischen Israel und den arabischen Ländern kämpfen. Danach ging er als Musiker nach Paris, 1957 nach Berlin, wo er wie jeder zurückkehrende Emigrant 6.000 Mark bekam und das „Old Eden“ als ersten Nachtclub der Stadt eröffnete. Weitere Nachtclubs folgten. Als Schauspieler wirkte er in 30 Filmen mit; seit 1977 ist er in der Immobilienbranche tätig.

In dem wunderbaren Film, der ursprünglich nur von den sieben Kindern handeln sollte, die Rolf Eden mit sieben verschiedenen Frauen hat, sieht man Eden, meist im weißem Anzug, später auch in Badehose, mal allein, dann wieder in Begleitung. Die Kinder sprechen über den Vater, der die jeweiligen Mütter spätestens dann verließ, wenn sie schwanger wurden. Die Mütter und Exgeliebten erzählen von ihren Beziehungen zum Playboy. Die Frauen wussten, worauf sie sich mit Eden einließen, dass er nicht bei ihnen bleiben würde. Er sei einfach in der Pubertät stecken geblieben, sagt eine seiner vielen Exfrauen, manchmal hätte sie durchaus auch mütterliche Gefühle für ihn, sagt seine aktuelle Frau, die jünger ist als seine Enkel. Eine bekam einen Diamantring, nachdem sie ihn – auch das gab’s – verlassen hatte. Niemand sagt etwas Schlechtes über ihn. Wenn er ein paar Tage zu Besuch kam, war’s immer schön, sagen die Kinder und spekulieren über den Persönlichkeitskern, den es hinter seinen Masken und Maskeraden vielleicht gebe.

Vergnügen haben

An die großen Stars wird erinnert, die zu Gast waren, in einem seiner Nachtclubs: die Beatles, die Rolling Stones, Liza Minelli, Louis Armstrong, Harald Juhnke natürlich, der stets in der Jury für die „Miss Big Eden“ saß und immer schnell betrunken war. Tolle Repräsentanten des untergegangenen Westberlins, wie die unglaublich anrührende Ingrid Steeger werden befragt. Ausgiebig wird aus tagebuchhaften Super-8-Filmen zitiert. In Details wird das Bild der großen Oberflächlichkeit nicht durchbrochen, aber es fällt einem doch anderes ein, wenn Eden über eine Exgeliebte sagt, er wisse ja nicht, mit wie vielen anderen Männern sie auch „Vergnügen“ gehabt hätte. Und man denkt an die fortschrittlichen Sexdiskurse der letzten fünfzig Jahre, in denen das Wort „Vergnügen“ undenkbar gewesen war, die fast immer nur von Machtverhältnissen und Bedürftigkeit handelten.

Ein einziger, trockener Satz über den Holocaust durchbricht den Sonnenschein. „Die Deutschen kommen ja auch nicht damit zurecht. Sechs Millionen umzubringen, ist keine Kleinigkeit.“

Die beeindruckendsten Passagen des Films spielen in Israel. Edens Bruder kommt zu Wort, man besucht das Hotel des Vaters, am Strand wird gebadet. Der Schriftsteller Yoram Kaniuk erinnert an die Zeit, in der er zusammen mit Eden in einer Einheit von 1.200 Soldaten kämpfte. Nur 400 überlebten. Im Krieg sei Eden ein Held gewesen. Vor allem hatte Eden eine Freundin, während Kaniuk noch nicht mal wusste, wie Frauen eigentlich aussehen. „I killed people before I ever kissed a person, and he was making love.“ Eden sei der Einzige aus dieser Zeit gewesen, der sich nicht als Opfer fühlt. Und: „Ich glaube nicht, dass du das Leben so leicht nimmst, wie du sagst.“ Eden entgegnet: „Ich besuche keine Leute im Krankenhaus und verdränge alles, was mir nicht gefällt: Auf Wiedersehen, tschau.“ DETLEF KUHLBRODT

■ „The Big Eden“. Regie: Peter Dörfler. Deutschland 2011, 90 Min.