: Berlin auf Sendung
FUNK FÜR ALLE Der frühere Offene Kanal Berlin heißt heute Alex Berlin. Mit der Umbenennung sollte auch eine Professionalisierung einhergehen. Schrulliges flimmert aber noch immer über den Bildschirm
■ Alex Berlin ist ein Fernseh- und Radiosender, der sich als partizipativer Bürgersender versteht und dessen erklärtes Ziel es ist, die Medienkompetenz der Berliner zu stärken. Das heißt, dass die Programmgestaltung im Prinzip jedem Bürger offensteht, jeder bei Alex Berlin mitmachen darf.
■ Betrieben wird der Sender von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Er finanziert sich über die öffentlichen Rundfunkgebühren. Während Radio erst seit 2003 Teil des Projekts ist, wird das Fernsehprogramm von Alex Berlin schon seit 1985 ausgestrahlt, damals noch unter dem Namen Offener Kanal, der 2008 unter der Leitung von Volker Bach reformiert und umbenannt wurde.
■ Die Fernsehsendungen von Alex Berlin werden nach verschiedenen Prinzipien gestaltet. Eines ist der sogenannte user-generated content, also ein von Berliner Bürgern gestaltetes Programm, dabei kann es sich um eine Talkshow oder eine eigene Soap handeln.
■ Weitere wichtige Säulen sind das Ereignis- und Ausbildungsfernsehen. Alex sendet beispielsweise regelmäßig aus dem Berliner Abgeordnetenhaus und bietet etwa Praktikanten in Medienberufen die Möglichkeit, sich stärker als bei herkömmlichen Sendern in die Prozesse der Programmgestaltung mit einzubringen. (ah)
VON ANDREAS HARTMANN
An einem Freitag, nachts um halb zwei, beim Zappen bei Alex Berlin gelandet: Eine ältere Frau, die sich als Mathilde Seelbach kenntlich macht, sitzt hinter einem Pult und brabbelt unverständliches Zeug. Man versteht kein Wort von dem Gesagten und fragt sich nur, ob man nun selber die falschen Drogen erwischt hat oder doch die Dame aus dem Fernseher.
Wenn man ein paar Tage später Volker Bach, dem Leiter von Alex Berlin, in dessen Büro in Wedding gegenübersitzt und von seinem surrealen Erlebnis berichtet, entgleisen diesem erst mal deutlich sichtbar die Gesichtszüge. Ja, die Mathilde Seelbach, seufzt er, die sei eben ein Relikt aus alten Zeiten, in denen Alex Berlin noch Offener Kanal Berlin hieß und zig derart kuriose Gestalten dort auf Sendung gingen.
Das entsprach zwar dem Konzept der „Bürgerpartizipation“ des Offenen Kanals, sorgte aber letztlich dafür, dass man sich seitens der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, die das Projekt mit rund 1,7 Millionen Euro finanziert, irgendwann ernsthaft fragte, ob man die gewünschte „Medienkompetenz“ und „Meinungsvielfalt“ der Berliner nicht auch irgendwie anders stärken könnte.
Aus der hübschen Idee eines Mitmachfernsehens, die 1985 in Form des Offenen Kanals in Berlin verwirklicht wurde, war ein für die meisten Bewohner der Stadt bedeutungsloser Trash-Kanal geworden, an dessen Existenz man sich nur dann erinnerte, wenn sich Halbskandalöses ereignete: wie die Geschichte von dem NPD-Anhänger, der im sogenannten „OKB“ ungehindert seine Weltsicht ausbreitete.
Modernität basteln
Man holte also 2008 den Fernsehjournalisten Volker Bach aus Köln, der den Sender, der in Berlin in über 1, 6 Millionen Haushalten via Kabel zu empfangen ist, reformieren und aus einem eher gescheiterten Graswurzelprojekt einen modernen Hauptstadtsender basteln sollte. Mit möglichst hochwertigem „user generated content“, der durch ein „Qualitäts- und Servicemanagement“ seitens des Sender gewährleistet werden soll. Aus dem Offenen Kanal wurde also Alex Berlin, und tatsächlich ist seitdem sehr viel anders als früher.
Nicht nur programmatisch wurde einiges getan, auch für das Internetzeitalter hat man sich gerüstet, und das konsequenter als so mancher herkömmliche Sender der Öffentlich-Rechtlichen. Alex Berlin ist nicht nur klassisch im TV zu empfangen, sondern auch via Livestream oder über einen eigenen Kanal bei YouTube. Ausgewählte Sendungen sind jederzeit abrufbar. Der Generation Internet soll so signalisiert werden: Alex Berlin ist cool. Und wirklich crossmedial: Das Filmchen „Die Katze auf der Fensterbank“, bei man die mal wieder ziemlich verstrahlt wirkende Mathilde Seelbach in Aktion sieht, wurde von jemandem mit ein paar Elektronikbeats unterlegt und ist jetzt ein viel gesehener Kracher auf YouTube.
Irgendwelche Typen, die ihr Publikum eine Stunde lang über ihre religiöse Erweckung unterrichten, Ufologen und sonstige Spinner findet man jetzt kaum noch bei Alex Berlin. Was vielleicht auch daran liegt, dass der Reiz eines Bürgerfernsehens für Selbstdarsteller in Zeiten des Internets abgenommen hat. Die wollen sich heute nicht mehr im Lokalfernsehen selbst verwirklichen, sondern bei YouTube oder You Now zu Internetstars werden. Allerdings ist Alex Berlin auch nicht mehr so niedrigschwellig, wie es der Offene Kanal war, wo eine Kontrolle praktisch nicht stattfand.
Prinzipiell steht der Sender immer noch jedem offen, verleiht kostenlos Kameras und stellt Schnittplätze zur Verfügung. Jeder darf hier in Absprache mit den Mitarbeitern des Senders selbst aktiv werden und eine Sendung gestalten. „Wir sind gesetzlich dazu verpflichtet, einen offenen Zugang für Interessierte zu gewährleisten“, so Volker Bach.
Radikal unprofessionell
Doch wer jetzt eine Sendung bei Alex Berlin haben möchte, muss seine Ideen erst mal mit Verantwortlichen des Senders besprechen und von ihnen bewerten lassen. Um die 500 solcher Konzepte wurden in den letzten fünf Jahren evaluiert. Volker Bach spricht von „qualifizierter Partizipation“ – er hat sich ein Vokabular einfallen lassen, das manche Leute eher davon abhalten dürfte, es mal bei Alex Berlin zu versuchen. Ebenjene, die glauben, irgendwo die Kamera draufzuhalten könnte schon der Beginn einer Fernsehkarriere sein.
Das alles heißt jedoch nicht, dass Alex Berlin jetzt ernsthaft RBB oder TV Berlin Konkurrenz machen würde. Immer noch ist bei der Hobbyfernsehanstalt genügend Raum für Dilettantismus und den Charme radikaler Unprofessionalität. Schnitte an den falschen Stellen, wacklige Bilder, unscharfe Zooms, all das gibt es zu bewundern.
Alex Berlin ist Labor und fortwährendes Projekt, und das sieht man auch. Zappt man sich einmal eine Woche lang regelmäßig und ausdauernd durch das Programm, sichtet man viele Dinge, die man durchaus mutig nennen könnte, vielleicht auch ungewöhnlich. Immerhin beides Attribute, die einem beim Programm von ARD und ZDF so gut wie nie einfallen. Wenn etwa in einer Folge der Kochshow-Persiflage „Wir kochen – ihr lacht“ Chips mit Käsesauce in der Mikrowelle zubereitet werden und von einem der Köche ein „Kokosfettrap“ zum Besten gegeben wird, dann ist das wirklich schräge Unterhaltung. Und damit etwas, auf das das gebührenfinanzierte deutsche Fernsehen am liebsten ganz verzichtet.
Etwas zu oft sieht man vielleicht sehr uninteressante Bands, die in einem wahnsinnig schlecht ausgeleuchteten Berliner Konzertsaal ein viel zu langes Konzert geben. Oder man erlebt in der Nachtschiene DJs beim Auflegen, was aber nicht wirklich Clubekstase vermittelt, sondern zeigt, dass auch der Job eines Plattenauflegers sehr unglamourös sein kann. Ansatzweise hat Volker Bachs Sender mit all seinen vielen Musikformaten auch ein wenig das Erbe von Musiksendern wie MTV und Viva übernommen. Nur den Glamour, den dieses Musikfernsehen einmal ausstrahlte, muss man sich bei Alex Berlin in Gänze wegdenken.
Zigarette und Bier
Alex Berlin ist ein Gemischtwarenladen, bei dem sich genaueres Hinsehen manchmal lohnen würde. Zwischen sehr viel Fernsehkost, für die man sich ein noch weitreichenderes „Qualitäts- und Servicemanagement“ wünschen würde, finden sich auch verblüffend originelle Formate: „Fingerzeig“ zum Beispiel, eine Talkshow in Gebärdensprache. Oder „B-Mix“, ein Talk, der im „Club der polnischen Versager“ in Mitte aufgezeichnet wird und von Christian Stahl moderiert wird. Allein schon zu sehen, wie die Grünen-Politikerin Agnieszka Brugger während des Gesprächs mit ihrem Gastgeber raucht und eine Bierflasche in Greifnähe hat, wirkt im Rahmen des Formats Talkshow geradezu revolutionär.
Man merkt Volker Bach an, wie tief er drinsteckt in seinem Job. Wie er hofft, dass mal wieder etwas so groß rauskommt wie die Musiktalkshow „TV Noir“, ein Format, das einst von Alex Berlin gefördert und inzwischen von ZDF Kultur übernommen wurde. Er will, dass Alex ein urbaner Sender ist, der endlich ernst genommen wird.
Vielleicht will Bach auch ein bisschen zu viel. Er wirkt wie der Trainer einer Hobbymannschaft, der unbedingt in der Regionalliga oben mitspielen möchte, auch wenn er nur über äußerst bescheidene finanzielle Mittel verfügt und auf Werbeeinnahmen ganz verzichten muss, da Unkommerzialität im Statut seines Vereins festgelegt wurde.
Bach will, dass man endlich wirklich sagt: „Alex Berlin ist cool“ und nicht: „Alex Berlin habe ich bisher nie wirklich gesehen.“ Sein Weg ist längst nicht zu Ende. Nicht, solange Mathilde Seelbach noch sendet.