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Archiv-Artikel

Überall mein Name

Seine Mutter nahm Drogen und arbeitete als Prostituierte, Steven K. landete auf der Straße. Mit dem Anbau von Marihuana hielt er sich über Wasser, bis ihm Graffiti erst zur Sucht und dann zum Beruf wurde. Ein Portrait des Künstlers als junger Mann

„Meine ganze Orientierung in der Stadt lief bald nicht mehr über Straßennamen, sondern über die Graffiti“

VON HELMUT HÖGE

Steven K. wurde 1983 in Charlottenburg geboren. Anfangs wohnte er bei den Großeltern, seine Mutter hatte Drogenprobleme. Als er sechs wurde, nahm sie ihn zu sich nach Neukölln. Seine Mutter arbeitete inzwischen als Prostituierte, um sich Geld für Drogen zu beschaffen, 1994 wurde sein Bruder geboren, was der Mutter noch mehr „Probleme“ bereitete. Steven wurde oft von ihr verprügelt, auch ihre Männerbekanntschaften hielten sich nicht zurück. Er musste auf seinen kleinen Bruder aufpassen und wurde deswegen von seiner Mutter oft aus der Schule genommen. Sein Spielzeug verkaufte sie für Drogen.

Nach vier Jahren hatte er „die Schnauze voll“ und machte ihr seinerseits „Stress“. Er hatte angefangen zu kiffen und begriff langsam einiges. Vor seiner Mutter hatte er „keinen Respekt mehr“, ihm fehlte „eine Autorität“, wie er rückblickend meint. Als er 15 wurde, schmiss seine Mutter ihn raus und sorgte überdies dafür, dass er kein „betreutes Wohnen“ vom Sozialamt bekam. Drei Jahre lebte er auf der Straße, eine Zeit lang in einer verlassenen Schule, wo er sich von der Außenbeleuchtung Strom abzapfte und auf dem Mädchenklo Hanf anbaute: zweieinhalb Kilo erntete er alle drei Monate, die er an einen Araber verkaufte.

1999 bekam Steve seinen ersten Graffitiauftrag, gleichzeitig begann er damit, sich durch Raub zu finanzieren. „Mit Zeichnen und Malen hatte ich schon in der 6. Klasse angefangen. Der Auftrag kam vom Onkel eines guten Freundes, der einen Laden in der Budapester Straße am Zoo hatte. Dort lernte ich drei Jugendliche kennen, die andere Jugendliche abzogen, also überfielen. Mit denen bin ich mitgegangen. Da konnte man gut Geld mit machen. Eine Zeit lang bin ich dann alleine auf den Ku’damm gegangen – zum Abziehen. Ich war mit einem Messer bewaffnet und wurde bald gesucht – dann auch geschnappt Ende 1999. Wegen etwa einem Dutzend schwerer Raubüberfalle steckte man mich erst mal sieben Monate in U-Haft.

Draußen habe ich anfänglich nur Tags gemacht, bis auf ein paar Bombings, damit mein Name überall bekannt wird – in der ganzen Stadt und darüber hinaus. Einmal habe ich irgendwo in einer märkischen Allee an einen Baum gepisst und dabei mit dem Messer meinen Namen reingeritzt. Drei Jahre später haute mich ein Freund an: ‚Ey, ich habe deinen Namen neulich sogar an einem Alleebaum entdeckt‘ – ebenfalls beim Pissen.

2001 hatte ich in Moabit meinen Prozess. Ich war noch Jugendlicher und bekam zwei Jahre auf Bewährung. Danach nahmen meine Großeltern mich wieder bei sich auf. Seitdem wohne ich bei denen in Moabit. Graffiti habe ich immer weiter gemacht, ich traf dabei Leute, die mich weitergebracht haben – nicht nur immer diese Standard-Bombings. Meine wurden dann immer bunter, ich habe mir die Hochglanzmagazine Backspin und Overkill geklaut. So was wie die dort abgebildeten Bombings und Buntbilder wollte ich auch machen. Zwischen 2001 und 2004 schaffte ich, was ich mir vorgenommen hatte, dass ich überall bekannt wurde.

Der Kern der Graffitibewegung in Berlin bestand damals aus etwa 400 Leuten. Ich war zwar nicht der Beste, aber einer der Bekanntesten. Heute ist die Szene anders: Die Jungen kennen mich nicht mehr, und die Alten machen jetzt auch oft Kunst oder Auftragsgraffiti. Die Werte von damals sind verloren gegangen. In meinen Kursen im Jugendzentrum versuche ich, sie den Kids wieder nahezubringen. Dazu gehörte, dass man mit einem Bombing über ein Tag rübergehen durfte und mit einem Buntbild über ein Bombing. Einzelne haben auch das nicht geduldet, und andere haben sich nicht an diese Regel gehalten. Aber heute sind sie allgemein verschüttet.

Es gibt so viele Leute, die sprühen – darunter verfeindete Crews. Früher gab es diesen Hass untereinander nicht. Man traf sich am Writerscorner in der Friedrichstraße oder am Alex. Gibt’s nicht mehr. Heute gibt es wieder eine Verbindung zum Hiphop, die Rapper spannen gerne Graffitikünstler ein, bei den arabischen ist das allerdings seltener der Fall. Die meisten neuen und guten Graffitikünstler kommen aus dem Osten, während die meisten Rapper aus dem Westen kommen.

Auch das Material hat sich geändert: Früher waren die Dosen schweineteuer. Wir sind immer in die Baumärkte, haben uns eine Kiste vollgepackt und die dann in die Gartenabteilung zu anderen Kisten gestellt. Nachts sind wir dann übern Zaun gestiegen und haben unsere Kisten mit Dosen abgeholt. Das ging ein Jahr gut, dann haben die das gemerkt und wir haben die Dosen wieder einzeln geklaut. Heute gibt es Hersteller, die sehr gute Dosen sehr billig anbieten. Früher kostete eine 18 DM und jetzt 3 Euro 70 in besserer Qualität. Der Dosendruck ist auch höher geworden, sodass man damit schneller arbeiten kann. Für die meisten Graffiti an der S-Bahn, die bunten Linepieces, da braucht man aber immer noch eine Woche, wenn man ein bis zwei Stunden nachts an ihnen arbeitet.

Graffitimalen ist bei mir mit der Zeit zu einer Sucht geworden: ich musste überall meinen Namen hinschreiben – ging nicht anders. Meine ganze Stadtorientierung lief bald nicht mehr über Straßennamen oder Gebäude, sondern über die Graffiti. Das machen viele Sprüher so: sie kucken beim S-Bahn-Fahren nach Graffiti – und ärgern sich über die Scheibenkratzer. Das habe ich auch eine Zeit lang gemacht, scheibenkratzen, es dann aber sein lassen: ich will auch rauskucken.

Es gibt einige markante Gebäude in der Stadt, da reißen sich die Sprüher drum. Es hat zum Beispiel nur einer bisher geschafft, den Reichstag zu bemalen. Und der wurde gleich darauf geschnappt. Mich haben sie zehn Jahre lang gar nicht erwischt. Ich gehörte zu den Vorsichtigen – besonders wenn es um Züge, S-Bahnen und so was ging. Aber kürzlich bin ich mit einer Gruppe auf ein altes Industriegelände in Charlottenburg. Das war da schon fast eine Wall of Fame – also sah nicht besonders gefährlich aus. Gerade da haben sie mich aber erwischt. Und deswegen bekomme ich nun einen Prozess. Das war mein Ausstieg aus der Szene.

Jetzt sprühe ich nur noch in meinem Keller oder im Malkurs, im Moabiter Jugendzentrum „VIP-Lounge“. Das Einzige, was ich sonst noch mache, ist, dass ich Aufkleber habe, die ich mitnehme und klebe – wenn ich z. B. durch Bayern fahre. Dafür hängen jetzt meine Bilder im Bundestag, in der Berliner Bank im Wedding, bei ein paar Privatleuten und in Arztpraxen. Oder ich male im Auftrag Wände oder Türen an – in Kinder- und Jugendclubs, das sind meine Hauptauftraggeber. Die Arbeit mit den Kids macht mir Spaß, ich versuche, sie von den ganzen Fehlern abzuhalten, die ich selber gemacht habe.

Killroy was here!, damit fing alles an – gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, ein Ami war das. Inzwischen sind die meisten Graffiti – zumal an S-Bahn-Strecken und Autobahnen – eindeutig eine Verschönerung. Es gibt viele Graffitikünstler, die nur auf Droge arbeiten können – Amphetamine meistens, ich habe immer nur Zigaretten und Haschisch gebraucht. Dazu kommt der Adrenalinausstoß: andere Leute sind zwei Stunden ins Kino gegangen, ich bin über die S-Bahn-Strecke geschlichen. Das ist auch schlimmer geworden: Früher konnten wir uns noch vor dem ‚Wachschmutz‘ hinterm Busch verstecken. Heute fliegt der BGS mit Wärmebildkameras über die Strecken. Und sie stellen Fallen auf: etwa einen Stadtrundfahrtbus, der nachts auf offener Strecke – vorm Ostkreuz – hält. Da denkt doch jeder: Den muss ich machen, da fährt mein Bild um die ganze Stadt. Und zack! haben sie ihn.

Seit 2004 wurde ich ruhiger. Das war natürlich auch gut für meine Akte. 2003 bin ich aber erst mal zur Bundeswehr, ich war als Scharfschütze in Torgelow stationiert, in der Nähe von Pasewalk ist das. Ich habe mir da die silberne Schützenschnur verdient. Nach dem Bund kamen alle möglichen Maßnahmen vom Arbeitsamt. 2005 fing ich eine Ausbildung zum Maler/Lackierer an. Da habe ich ein halbes Jahr kein Geld gekriegt und aufgehört. Dann habe ich mich von den Drogen entwöhnt – es ging nicht mehr, ich bin aus Moabit nicht mehr raus. 2006 habe ich da eine Künstlerin kennengelernt, die war von der „VIP-Lounge“, wo sie malte. Von ihr erfuhr ich: Sie bräuchten da noch einen Graffitimaler. Ein halbes Jahr habe ich das ehrenamtlich gemacht – und dann Malkurse gegen Bezahlung gegeben.

Die Leiterin der „VIP-Lounge“, Frau Winter, hat mich darauf gebracht, Leinwände zu benutzen. Auf meine erste Leinwand – 50 mal 70 – habe ich eine Skyline gemalt, inzwischen bin ich schon fast ein Skyline-Experte. Manchmal habe ich so viele Aufträge, dass ich welche an Freunde abgebe. Die arbeiten auch meist in der „VIP-Lounge“, habe ich nach und nach da reingeholt. Funda zum Beispiel, die kann sehr gut fotorealistisch malen, nicht sprühen, sondern mit Aquarellfarben. Sie malt ab, während ich mir was ausdenke, wobei ich jedoch noch meinen Stil suche.

2005 hat mir das Arbeitsamt eine berufsvorbereitende Qualifizierungsmaßnahme bei „Zukunftsbau“ in Mitte verpasst. Erst wollte ich da meinen Schulabschluss nachmachen, aber ich habe wie gesagt ein Autoritätsproblem. Deswegen habe ich wieder aufgehört damit. Ich kam dann in ein „Profiling“ bei Zukunftsbau: das war auch Scheiße, habe ich aber zu Ende gemacht, ohne dass was bei rausgekommen ist.

Ein Jahr später habe ich dort dasselbe noch mal mitgemacht – und geriet an den Profiler Gert Groszer. Mit dem komme ich gut klar. Der hat mich wie ein Mensch behandelt, nicht wie einen Hartz-IVler, und hatte Interesse an meinen Graffiti. Er hat jetzt auch eine Ausstellung in der Prignitz in einem Jazzkeller in Dahlhausen für mich organisiert. Da habe ich ein Bild verkauft. Bei allen meinen bisherigen drei Ausstellungen habe ich jeweils ein Bild verkauft, komischerweise immer die, die mir selbst am wenigsten gefallen. Angefangen habe ich mit 25 Euro pro Bild, mittlerweile bin ich schon bei 100–200 Euro.

Es lässt sich alles so weit gut an. Aber es ist mir was dazwischengekommen: Der Exfreund meiner Freundin Corinna hat sie so penetrant verfolgt, auch eingesperrt, geschlagen und bedroht, dass ich ihn zu Hause besucht habe. Das war moralisch in Ordnung, aber nicht rechtlich: Ich habe dafür 1 Jahr und 9 Monate ohne Bewährung bekommen, wegen Körperverletzung. Dagegen bin ich in Berufung gegangen. Der Exfreund von Corinna hat wegen Freiheitsberaubung und und und nur eine Geldstrafe von 450 Euro gekriegt. Jetzt warte ich auf meine Berufungsverhandlung und bau mir in der Zwischenzeit einen Laden aus: ‚Dirty Handz‘ soll er heißen.

Mein Opa ist kürzlich gestorben – an Krebs, und meine Oma braucht mich jetzt. Früher hat sie mir geholfen und mein Material finanziert, deswegen bleibe ich nun erst mal bei ihr in der Wohnung.“