Die Baupiraten von Brad Pitt

THEATERRÄUME Graft-Architekten sind die Popstars in der Branche. Eine Werkschau im Haus am Waldsee würdigt ihre Projekte und das Design, verdeutlicht aber auch, dass sie nicht so revolutionär sind, wie sich geben

Die Architekturen sind wie Leiber, werden von Gängen wie von Adern durchströmt

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Als in Berlin 2008 der Pavillon für eine temporäre Kunsthalle des Architekten Adolf Krischanitz errichtet wurde, schluckten nicht wenige angesichts des blauen Kubus auf dem Schlossplatz. Statt des „Ikea-Containers“ hätte die Kunstszene dort viel lieber das Projekt „Wolke“ der Berliner Graft-Architekten verwirklicht gesehen. Ihr Wolkenentwurf sah eine aufgeständerte schwebende Himmelsfigur vor mit organisch geformtem Inneren für die Schauräume. Die spektakuläre Wolke von Graft war zu teuer, darum bekam die blaue Kiste den Vorzug – wie so oft zogen die Luftikusse Graft-Architekten den Kürzeren. Ein Hotel, eine Arztpraxis – viel hat Graft in Berlin nicht realisiert, weltweit ist es etwas mehr.

Das Haus am Waldsee präsentiert die Graft-Architekten Christoph Körner, Lars Krückeberg, Gregor Hoheisel und Wolfram Putz nun in einer ersten Werkschau mit fast all ihren (unrealisierten) Projekten. Unter dem schwergewichtigen Titel „Distinct Ambiguity“ werden Modelle und Pläne, Installationen, Objekte und Möbeldesign gezeigt. Die „visionären Welten“ von Graft würden dabei erstmals auf geblättert, hieß es etwas zu bedeutungsschwanger bei der Ausstellungseröffnung.

Zwar arbeitet das Architektenteam mit durchaus unkonventionellen Methoden: Das Büro gleicht einem Architekturlabor, der Planungsprozess ist interdisziplinär, und die Bauten, Projekte oder Möbel erinnern an Architekturhybride aus der Organik und Botanik. Zu Hilfe kommt Graft die moderne Computertechnik, die es ihnen erlaubt, das ganze Assoziationsspektrum der Graft-Welten über die Planung oder in das Design zu legen: Sessel formen Schalen, die sich unserem Körper anpassen. Die supermodernen Häuser sind terrassiert wie hügelige Landschaften, so beim AO-Wohnprojekt in Tokio (2010). Bauten erscheinen wie Bilder aus dem Bootsbau oder aus der Natur – wie jene für zwei beiden Luxusvillen in Kuala Lumpur. Oder die Architekturen sind gestaltet wie Maschinen oder Leiber, haben Zellen und Räume, werden von Gängen und Fluchten wie von Adern durchströmt und umgeformt – sprich „gegraftet“. Keine Frage, das alles ist zudem ökologisch. Die Aussage ist klar: Mit nachhaltigen lebendigen Baukörpern von Graft wäre die Welt paradiesischer!

Ein Nummer kleiner hätte es in der Schau auch getan. Denn Graft denkt und plant nicht so revolutionär, wie sich die Autoren geben. Die organische Architektur kennt man seit der Gotik, die zerfließenden Formen sind seit Dalí oder Lutz „Luigi“ Colani en vogue, und der offene Grundriss entstammt der klassischen Moderne. Auch die Rolle von Graft im Architekturzirkus hätte man etwas aufs Korn nehmen müssen. Seit jetzt schon über 10 Jahren gelten diese als Popstars in der Szene. In den Büros in Berlin, Peking und Los Angeles wird gemeinsam gekocht, die Architekten singen im Chor, sie sind mit Brad Pitt befreundet und haben für ihn geplant.

Die Architekten bauen für Leute mit viel Geld. Die Möbel der Generation Star Trek zieren teure Lofts, Restaurants in Las Vegas und Hotels in New York. Graft spielt gern den Störenfried, besonders gegenüber der erzkonservativen Berliner Baulobby, aber wirklich gefährliche Burschen sind die drei nicht. Schaut man in ihre Räume und Bauten genauer hinein, ist viel gleiches und gewelltes Dekor zu sehen. Graft-Räume sind Theater und manchmal gar kein schlechtes.

Eine zweite leise Enttäuschung ist, dass sich das Haus am Waldsee die Stärken des Büros, die Installationen, kaum zunutze gemacht hat. Warum die Kuratoren kein Graft-Environmet aus dem Haus am Waldsee gemacht haben, bleibt offen. Sie wären damit sicher besser gefahren als mit einer reinen Werkschau. Angedeutet wird die Chance am Beispiel des kleinen pinkfarbenen Zelts draußen im Park der Galerie.

Das Zelt ist ein Objekt aus dem „Pink Project“. 2005 hatte der Hurrikan „Katrina“ in New Orleans gewütet. Graft und andere installierten als Symbol des Wiederaufbaus für den zerstörten Stadtteil Lower Ninth Ward 2009 eine pinkfarbene Kunststadt aus unzähligen zeltartigen Minihäusern. Diese dienten als Platzhalter für eine spätere Bebauung und sollten den Anwohnern zeigen, dass „die Hoffnung für die Stadt“ ebenso wie die Zukunft virtuell greifbar ist.

Diese zweite Seite von Graft, ihre ungebremsten, kunstvollen Pläne und Installationen für eine Zukunft der Stadt mit dem Nimbus des Neuen und Wandelbaren, kommt in der Schau leider zu kurz. Schade. Geben doch die Ideen der Architekten etwa für das Flugfeld in Tempelhof oder das Schlossareal, die City West und das Kulturforum genug Stoff für einen größeren Schaurahmen her.

„Es macht mehr Spaß, Pirat zu sein, als zur Marine zu gehen“, steht als Motto über dem ersten Schauraum im Erdgeschoss. Klar ist, was damit gemeint ist: Die Graft-Architekten sehen sich als die Piraten der Architekturszene. Captain Jack Sparrow, die Seeräuber-Jenny und das wilde Leben mit 50 Kanonen an Bord sind für sie einfach geiler als Plankenschrubben auf öden Schulschiffen. Schön wäre, wenn sie’s mehr beherzigen würden. Sie und die Schau sind noch zu viel Marine.

■ Noch bis zum 12. 2. 2012 im Haus am Waldsee