: Es ist ein Higgs!
UNIVERSUM Seit Jahrzehnten suchen Physiker nach dem Urteilchen. Jetzt wurde es wahrscheinlich gefunden
■ Die Geschichte: Im Jahr 1964 kam dem Physiker Peter Higgs bei einem Ausflug aufs schottische Land eine Idee, die später zu seiner berühmten Theorie führte. Für den Spitznamen „Gottesteilchen“, den das Higgs-Teilchen bekam, schämt sich der Namensgeber eher. Und auch über einen Nobelpreis wäre er gar nicht so glücklich, sagt er.
■ Der Text: Die ganze Geschichte von Peter Higgs und den Physikern auf der Jagd nach dem Higgs-Teilchen, die am 12. November in der sonntaz stand, können Sie hier nachlesen: taz.de/higgs.
VON MARIA ROSSBAUER
An seinem großen Tag saß der Physiker Peter Higgs wieder in der Universität in Edinburgh. Genau dort, wo er 47 Jahre zuvor seine berühmte Theorie aufgeschrieben hatte. Eine Theorie, die erklären sollte, wie alle Elemente in diesem Universum zu ihrer Masse gekommen sind. Wie also alles Greifbare um uns herum einst entstand. Am Dienstagnachmittag dieser Woche sollte nun der Beweis für seine Idee verkündet werden – oder zumindest erste Hinweise darauf.
Das Europäische Kernforschungszentrum Cern in Genf hatte zu einem Seminar eingeladen – der wissenschaftlichen Variante einer Pressekonferenz. Es sollten Ergebnisse von der Suche nach dem Higgs-Teilchen vorgestellt werden, jenem Teilchen, das Peter Higgs 1964 prophezeite. Der 82-Jährige sah sich mit seinen früheren Kollegen das Treffen per Livestream an.
Für Wissenschaftler ist das Higgs-Teilchen der letzte fehlende Beweis für seine Theorie. Hätte man den Baustein endlich, gäbe es auch eine Erklärung dafür, was beim Urknall passiert ist.
Wie groß der Tag auch für die Forscher am Cern war, spürte man schnell: Der Seminarraum war bis auf die letzte Treppenstufe mit Physikern, Journalisten und Studenten besetzt. Wie in einer Physikvorlesung im ersten Semester – nur mit einigen Studenten eher jenseits der sechzig. Auch ganz oben im Raum hingen noch Leute über dem Geländer, starrten gebannt auf die große Leinwand.
Zwei Forscher präsentierten ihre Ergebnisse, jeder von ihnen aus einem der beiden Detektoren, die das Teilchen aufspüren sollen. Es war klar: Wenn beide Messgeräte unabhängig voneinander etwas Ähnliches entdecken, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass auch wirklich etwas da ist.
Fabiola Gianotti war die Aufregung anzumerken. Die Stimme der Physikerin holperte immer wieder, als sie aus ihren Daten vorlas. Sie deutete auf Kurven auf der Leinwand, zeigte Tabellen mit vielen griechischen Buchstaben, erzählte von Hintergrundrauschen und anderen schwer verständlichen Messungsdetails.
„Ich habe immer nur darauf gewartet, dass die Ergebnisse in goldenen Buchstaben auf dem Bildschirm erscheinen“, sagt Peter Higgs. Er lacht. Der Vater der Theorie war vorgewarnt worden, dass da heute etwas Wichtiges verkündet werden könnte.
Auch für die anderen Teilchenphysiker dieser Welt war der Tag ein Ereignis. Am Dienstagnachmittag versammelten sie sich zu einer Art Public Viewing in ihren Universitäten. Schon Tage vorher hatten viele Wetten darüber abgeschlossen, in welchem Massebereich das Higgs-Teilchen wohl liegen wird. Zuletzt wurden die Werte auf einen Bereich zwischen 115 und 145 Gigaelektronenvolt eingegrenzt – das ist die Einheit, mit der Physiker die Masse von Elementarteilchen angeben.
Als in Genf dann auch der zweite Physiker eine gefühlte Ewigkeit von den Ergebnissen aus dem CMS-Detektor erzählte, wurde irgendwann zwischendurch klar: Es sieht gut aus für das Higgs-Teilchen. Es soll bei einem Massebereich von etwa 125 Gigaelektronenvolt liegen. Vielleicht ein wenig mehr, vielleicht weniger. Doch es könnte tatsächlich existieren.
Man könnte ja meinen, dass spätestens dann in dem Seminarraum eine La-Ola-Welle hätte ausbrechen müssen. Schließlich dauerte die Suche nach dem Higgs-Teilchen fast fünfzig Jahre – das Cern erklärte es zuletzt zum Hauptziel seiner Arbeit. Oder zumindest ein Erleichterungsseufzer. Denn das Nichtfinden des Teilchens wäre ein riesiger Schock geworden: Das ganze Wissen, das Physiker bislang über kleine Teilchen angesammelt haben, hätten sie über den Haufen werfen müssen.
Doch es blieb still. Kein Beifall, kein Raunen, nicht einmal ein Klopfen auf die Holztische. Vielleicht war die Anspannung dafür zu groß.
Aber auch wenn es deutliche Hinweise auf das lange ersehnte Teilchen gibt: Die Daten reichen nicht, um eindeutige statistische Aussagen zu machen. Auch wenn man jetzt sagen kann, das Higgs-Teilchen existiert zu 99 Prozent – um sämtliche Schwankungen und Messfehler auszuschließen bräuchten die Cern-Forscher eine Wahrscheinlichkeit von 99,99993 Prozent. Dazu werden die Wissenschaftler noch weit mehr Teilchen aufeinanderkrachen lassen müssen – bisher haben sie gerade mal lockere 100 Billionen Teilchenkrachs ausgewertet, allein aus dem Jahr 2011. Bis man das Teilchen also endgültig als bewiesen erklären kann, wird es mindestens noch ein halbes Jahr dauern.
DER PHYSIKER PETER HIGGS
Ein Hinweis also, aber noch kein Ergebnis. Zum Anstoßen mit Champagner reiche das nicht, sagt Peter Higgs. Aber es sei auch kein Grund, sich aus Kummer sinnlos zu betrinken.
Er freue sich darauf, im nächsten Jahr mehr über diese Ergebnisse zu hören. „Ich bin am Leben und fühl mich gut“, sagt Peter Higgs. Es sieht so aus, als ob sein großer Wunsch in Erfüllung geht – noch vor wenigen Wochen hatte der 82-Jährige in der sonntaz gesagt: „Ich hoffe nur, dass sie die Angelegenheit regeln, bevor ich sterbe.“
Schließlich ist die Entdeckung des Higgs-Teilchens auch ein Erfolg des Mannes, dessen Namen es trägt. Es ist der Beweis dafür, dass er damals vor 47 Jahren richtig lag. Der Fund könnte ihm nun den Physik-Nobelpreis bescheren.
Das Cern wird wohl alles daran setzen, auch die letzten Zweifel an der Existenz des Higgs-Teilchens auszuräumen. Ab März krachen im Teilchenbeschleuniger LHC wieder kleinste Teilchen mit annähernd Lichtgeschwindigkeit aufeinander, allein mit dem Zweck, das Higgs-Teilchen zu erzeugen.
Nun werden sie werden den Bereich rund um die 125 Gigaelektronenvolt abklappern. Und das vermutlich so lange, bis die Cern-Forscher über den Verbleib des heiß ersehnten Teilchens endgültige Aussagen machen können. Bis sie sicher sagen können: Das Higgs-Teilchen existiert.