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Archiv-Artikel

Zwischen Schweden

Die Ikeaisierung des Nordwestens schreitet voran. Heute eröffnet ein neues Möbelhaus in Oldenburg. Den Brinkumer Ikea-Mitarbeitern passt das nicht

Ikea im Norden

Das Oldenburger Ikea ist eines der größten Ikea-Häuser Deutschlands, größer ist nur die Filiale auf dem Expo-Gelände in Hannover. Es ist die neunte Filiale im Norden, erstmals mit einem riesigen Glashaus für Pflanzen und Terrassenmöbel ausgestattet. Im ersten Jahr rechnet Ikea Oldenburg mit bis zu 2,5 Millionen Besuchern, täglich sollen es bis zu 20.000 sein. Die erste Ikea-Filiale in Deutschland wurde 1974 in Eching bei München eröffnet, inzwischen gibt es 42 Ikeas in ganz Deutschland. Für 280 Arbeitsplätze im Oldenburger Ikea-Haus gingen 6.500 Bewerbungen ein, teilte das Einrichtungshaus mit. Kritiker allerdings sagen, dafür seien im Bremer Ikea viele Stellen abgebaut worden. Oldenburgs Ikea liegt direkt an der Autobahn. Von der Innenstadt aus ist es dagegen schwer zu erreichen: Zwei Bahnstrecken liegen dazwischen, deren Schranken häufig zu sind. FEZ

VON FELIX ZIMMERMANN

Es müsste doch der Nordwesten längst bis in den letzten Winkel mit Ikea-Möbeln und Nippes bestückt sein. Kaum ein Kinderzimmer in Ostfriesland wird ohne Kindertisch Lätt auskommen, kaum ein Jugendlicher im Emsland seine Hausaufgaben nicht auf Juniorstuhl Jules erledigen, in kaum einer Küche im Oldenburgischen nicht Dose Söta Haferflocken ein trockenes Asyl geben. Bücher stehen in Billy, Grünkohl kocht in Favorit, Familie speist aus Epistel-Tellern und bettet sich auf Sultan-Matratzen.

Aber es scheint noch nicht so zu sein, dass ein jeder in seiner persönlichen Ikea-Musterwohnung wohnt. Sonst hätte die Firma, gerne auch „der blau-gelbe Möbelriese“ genannt, wohl kaum in wenigen Monaten Bauzeit am Stadtrand Oldenburgs 43 Millionen Euro in seine 42. Deutschland-Filiale investiert. Die Ikeaisierung muss weitergehen, im Nordwesten scheinen noch einige Ikea-lose Zonen zu sein.

Nun also Oldenburg, mit 36.800 Quadratmetern Bruttogeschossfläche fast so groß wie Deutschlands größtes Ikea auf dem hannoverschen Expo-Gelände, doppelt so groß wie das Haus in Brinkum bei Bremen, aus dem sich weite Teile des Landes zwischen Weser und Ems, Küste und Dümmer bislang ihre flachen Pappkartons holten, die sie zu Hause zu Möbeln zusammen schraubten, dekoriert mit mundgeblasenen Glasflaschen aus China und Kunst von der Stange. Von heute an müssen sie alle nicht mehr so weit fahren, sondern können in Oldenburg die Autobahn verlassen.

Für den Eröffnungstag werden Zehntausende erwartet. Es ist merkwürdig, denn im Oldenburger Ikea wird es nichts geben, was es nicht anderswo bei Ikea auch gibt, die Skötbullar genannten Frikadellen im hauseigenen Schnellrestaurant schmecken wie sonst auch. Man weiß also, was einen erwartet, trotzdem wird der Andrang riesig sein, kundige Beobachter erwarten ein „Hauen und Stechen“, hieß es gestern bei der Vorpremiere mit den Inhabern der Ikea-Familienkarte.

In Oldenburg, man kann es sich denken, war die Ungeduld bis zum heutigen offiziellen Eröffnungstag groß, die Freude über diese Gewerbeansiedlung seit Monaten riesig. Ein neuer Standortvorteil, der Oldenburg, das gerne Oberzentrum sein will, weiter stärken würde. Oberbürgermeister Schwandner nannte Ikea „das am sehnlichsten erwartete Bauvorhaben der Stadt“, er selbst habe sein erstes Billy-Regal 1977 gekauft, noch nie habe ihm eine Schraube gefehlt. Wieder und wieder war in der Lokalpresse von vielen neuen Arbeitsplätzen die Rede, so dass man glauben konnte, vor den Toren der Stadt keime ein Jobwunder. Ikea tat viel dafür, seinen Ruf als Heilsbringer für eine eher wirtschaftsschwache Region zu verfestigen.

Oldenburgs Ikea-Chef Ralph Möller verwies vor allem auf die mit 57 Jahren älteste Mitarbeiterin, die schon Kultstatus hat und wahrscheinlich nur eingestellt wurde, damit man sich nicht nachsagen lassen muss, nur auf unverbrauchte junge Menschen zu setzen. 280 Leute seien eingestellt worden, 220 von ihnen stammten aus Oldenburg, elf Nationalitäten seien vertreten, ließ Möller verbreiten. Jeder hat eine Chance bei den Schweden.

In die Jubelstimmung mischen sich allerdings auch kritische Stimmen, die als Nörgelei abzutun zu einfach wäre. Kritiker sitzen vor allem im Brinkumer Ikea-Haus und fürchten um ihre Jobs, manch einer sogar um die Existenz des gesamten Einrichtungshauses nahe Bremen. Ein Mitarbeiter dort, der ungenannt bleiben möchte, erzählt von der Angst unter den Kolleginnen und Kollegen, dass ihr Ikea auf der Strecke bleibt. Bislang war es das Ikea mit einem der größten Einzugsgebiete, nun bricht das gesamte Hinterland weg. Die Mitarbeiter erwarteten deutliche Umsatzeinbußen durch die hauseigene Kannibalisierung, die Frage wird diskutiert, ob sich das Unternehmen damit einen Gefallen getan habe.

„Viele hier fürchten um ihre Jobs“, sagt der Ikea-Mitarbeiter. Dabei hat es in den vergangenen Wochen schon einen „massiven Stellenabbau“ in Brinkum gegeben, sagt der bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Bremen für Handel zuständige Sekretär Richard Schmidt. Um ein Drittel soll die Belegschaft bereits geschrumpft worden sein. Schmidt kommt auch das Gerede von 280 neuen Arbeitsplätzen arg beschönigend vor. Die seien zwar in Oldenburg neu, gingen aber auf Kosten unbefristeter Arbeitsplätze in Bremen. „80 Prozent davon sind prekäre Beschäftigungsverhältnisse“, sagt Schmidt, also befristete und schlecht bezahlte Jobs sowie Leiharbeit, die dem Unternehmen die Möglichkeit geben, munter zu sortieren, die aber eben keine dauerhaften Arbeitsplätze sind. Schmidt schimpft über die Kirchturmspolitik, in der Arbeitsplätze vernichtet werden, damit sie gleich nebenan geschaffen werden können. Es ist ja auch längst bekannt, dass Arbeitsplätze im Handel nur über Verdrängung geschaffen werden; selbst die Oldenburgische Industrie- und Handelskammer, die die Ikea-Ansiedlung begrüßt, wünscht sich regionale Einzelhandelskonzepte, um in der Region mehr Zusammenarbeit zu schaffen.

Heute früh geht es los, um 7.45 Uhr wird eröffnet in Oldenburg. Für die ersten Tage wird ein Ansturm erwartet, bis Weihnachten sind 30 Polizisten im Einsatz, um Tumulte zu verhindern. Skeptiker ahnen aber, dass mit Ikea der Dauerstau Einzug halten wird in Oldenburg. Vor allem zwischen Innenstadt und Möbelhaus: Wer zwischen beiden Orten hin und her fahren will, muss Zeit mitbringen, weil auf dem Weg zwei Bahnlinien zu überqueren sind, die die Straße pro Stunde circa 20 Minuten blockieren. Die Frage wird sein: Schraubst du schon oder stehst du noch im Stau?