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Archiv-Artikel

DIE DEUTSCHEN WOLLEN NACHRICHTEN NACH DEM VORBILD DER BRATWURST – DAMPFEND UND KNACKIG Meinungsvielfalt auf Allzeit-Hoch

VON MIGUEL SZYMANSKI

Letzte Woche gab der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger bekannt, dass es in Deutschland noch nie so viele Publikumszeitschriften gab wie jetzt („Bestand der Publikumszeitschriften mit 1.595 Titeln auf Allzeit-Hoch“). Das müssen entweder Kochzeitschriften oder Publikationen für Modelleisenbahner sein.

Nach 18 Monaten in Deutschland mit Vorträgen, Lesungen, Podiums- und Publikumsdiskussionen, Kaffeehauspolemiken oder einfach nur Gesprächen mit Freunden und Kollegen fühle ich die Kraft der erdrückenden deutschen Meinungseinfalt. Pluralität und Diversität sind leider zwei verschiedene Kisten. Die Anzahl der Zeitschriften verhält sich zur Meinungsvielfalt wie ein Rekordhoch von 12.000 DAX-Punkten zur sozialen Gerechtigkeit.

Die Menschen in Deutschland, ob sie Fokus, Stern, die Zeit oder SZ lesen, denken über die Krise und über Südeuropa nicht anders als Bild- und Spiegel-Leser.

In Deutschland scheint ein großer Teil der Bevölkerung ausgeblendet zu haben, dass sich zum Beispiel beim korruptiven Handeln immer Nehmer und Geber gegenüberstehen. Bei den Waffendeals in Portugal, Spanien oder Griechenland trafen etwa korrupte Politiker im Süden auf korrumpierende Unternehmen in Deutschland. Auch ausgeblendet vom deutschen Durchschnittsleser: Den Vorteilen der letzten fünfzehn Jahre für die deutsche Exportindustrie steht die Demontage der Industrie im Süden gegenüber, die von korrumpierten Politikern in Madrid, Athen, Lissabon in Kauf genommen wurde, während die mittels Postenverteilung korrumpierenden Kräfte in Brüssel und Berlin saßen und sitzen. Die Kraft der Propaganda ist einfach zu stark, das Vermögen mitzudenken zu schwach.

Obwohl ich eigentlich genauso ideologisch bin wie katholisch, also nicht praktizierend, wurde ich hier in Deutschland bisher zu 99 Prozent in die linke Ecke gedrängt und nur von der taz, dem Freitag, von Attac, der Friedrich-Ebert-Stiftung und – am rechten Rand des linken Spektrums – dem Deutschen Gewerkschaftsbund zu Meinungsäußerungen und Veranstaltungen eingeladen. Es drängt sich der Verdacht auf: Rechts vom linken SPD-Flügel ist niemand daran interessiert, wie die Menschen in Südeuropa die Folgen der deutschen Politik erleben und welche Konsequenzen in der Welt das Handeln von Schreibtischtätern in Berlin hat.

Vereinzelt liest man in Mainstreammedien kluge Menschen, die Sachen schreiben wie: „Die mantraartige Wiederholung, nur die Griechen seien an der negativen bilateralen und europäischen Entwicklung schuld – die gegen jede Lebenserfahrung spricht und an eine Buddelkastenmentalität erinnert –, verfängt vor allem bei den Deutschen, die sowieso ‚wissen‘, dass sie richtig- – und die anderen falschliegen.“ (Gesine Schwan, Der Spiegel).

Vereinzelt lassen Mainstreampolitiker wie der Vizekanzler Gabriel zwischen Sätzen, die gespickt sind mit Euphemismen wie „Rettungspakete“, „Hilfsmilliarden“ und besagten „Hausaufgaben“, scheinbar konziliante Experimentaltöne verlauten: „Allein Banken zu retten und zu helfen wie in der Vergangenheit reicht nicht aus.“ (ARD, 22. 3.)

Es sind Sätze, die untergehen. Entweder sie verschwinden unter einem Berg von einseitigen Binsenwahrheiten oder sind so formuliert, dass der Durchschnittsleser nach dem dritten Nebensatz schon abgeschaltet hat. Das heutige Bildungsbürgertum möchte es prägnant, es soll dampfen und knackig sein, wie eine Bratwurst bitte.