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Archiv-Artikel

Warten auf die Bombe

LITERATUR Der Bremer Autor Sönke Busch bereitet sich und sein Publikum an 50 Donnerstagen mit 50 Lesungen in einer Kneipe auf den Weltuntergang vor

„Du kommst nach der Lesung aus dem Lemans und bist genau an dem Ort, an dem meine Geschichten spielen“

Sönke Busch

VON JENS LALOIRE

Im hinteren Teil der Kneipe Lemans im Viertel sitzt Sönke Busch im weißen Hemd an einem kleinen Tisch, auf dem eine große Lampe und eine Flasche Becks stehen. Das Licht ist schummrig, die Gäste trinken Bier und lachen hin und wieder, wenn Busch Geschichten aus seiner Erzählung „Bomben auf Utopia“ vorliest. Den Startschuss für seine Lesereihe hat der Bremer Autor am 2. Dezember gegeben. Seitdem sitzt er jeden Donnerstagabend ab 19 Uhr im Lemans und trägt ein neues Kapitel vor, insgesamt sollen es 50 werden, die er an 50 Abenden vorlesen wird. Enden wir das Ganze erst am 20. Dezember 2012, am Abend vor jenem Tag, an dem, nach Aussage mancher Propheten, die Welt untergeht.

Bis es so weit ist, will Busch sein Publikum mit engagiert vorgetragener Prosa unterhalten, denn er versteht sich als Geschichtenerzähler, dessen Texte vom Vortrag leben. Für jeden Donnerstagabend schreibt er ein neues Kapitel, das knapp 30 Minuten Lesezeit beansprucht. Dieses Basteln an einer Sprache, die auf die Hörer zugeschnitten ist, genießt er trotz des Zeitdrucks. Zwar hat er auch schon Kurzprosa in Literaturzeitschriften veröffentlicht und zwei Romanmanuskripte in der Schreibtischschublade liegen, aber in den letzten Jahren war Busch vor allem auf Lesungen präsent. Auf dem Viertelfest hat er mehrmals gelesen oder im Rahmen des Projekts „Schwarze Steine“, in dem er sich zusammen mit dem Architekten Oliver Hasemann der Historie verschiedener Bremer Orte gewidmet hat. In erster Linie hat Busch jedoch auf kleinen Festivals der Bremer Subkultur gelesen, in dieser Szene ist er verankert, dort kennt er sich aus, darüber kann er am besten schreiben.

Auch in „Bomben auf Utopia“ geht es um die Bremer Szene. Die Figuren hat er schon 2007 während des Projekts „Sproutbau“ in Bremen-Tenever in abendlichen Lesungen präsentiert. Jetzt geht es an die Fortsetzung, die Charaktere sind älter geworden und ins Steintorviertel gezogen, wo auch Busch zu Hause ist. Der 31-Jährige wurde in Hastedt geboren, ging in Bremen zur Schule und machte seine ersten Performanceerfahrungen Ende der 90er Jahre bei Poetry Slams auf Meister Proppers Kellerbühne in der Weberstraße.

In Wien studierte er Drehbuch und Filmregie. Nach dem Studium und einem Jahr in Berlin ist er nach Bremen zurückgekommen – hier lebt seine Familie, hier fühlt er sich wohl. Der ganze Berlinhype nervt ihn, denn letztlich gehe es doch darum, beständig an etwas zu arbeiten, und das könne er in Bremen genauso gut. „Die geilen Konflikte spielen sich doch im Inneren ab“, sagt Busch. Außerdem finde er die Durchlässigkeit seiner Texte zwischen Fiktion und Realität spannend: „Du kommst nach der Lesung aus dem Lemans und bist genau an dem Ort, an dem meine Geschichten spielen.“

Die Orte seiner Geschichten sind real, die Protagonisten zumindest an reale Personen angelehnt, auch wenn sie teilweise recht schräg wirken. Das wundert Busch selbst nicht: „Ich finde es schwieriger, normale Leute zu finden als welche mit einem Schuss.“

Warum aber der Titel Bomben auf Utopia? „Klingt doch fetzig!“, sagt Busch grinsend, erklärt dann aber doch, was Utopia für ihn bedeutet. „Utopia ist der Ort, in dem wir schon leben – ein Ort wie das Viertel.“ Nur bemerkten die meisten Leute bei ihrer Aufregung über banale „Erste-Welt-Probleme“ nicht, wie gut es ihnen schon gehe. Also Stöhnen auf hohem Niveau? Ja, meint Busch, aber irgendwann gehe es auch mit diesem Utopia zu Ende.

Und seine Texte, sind das die Bomben auf unser Utopia, in dem wir es uns einerseits gemütlich eingerichtet haben, um zugleich darüber zu schimpfen? „Das wäre zu hoch gegriffen“, sagt Busch. „Meine Texte sind keine Bomben. Ich warte auf die Bomben und schreibe mich langsam da hin.“ Und bis die Bomben einschlagen oder die Welt untergeht, wird Sönke Busch jeden Donnerstagabend in einer Kneipe im Bremer Utopia Steintorviertel lesen und sein Publikum unterhalten.

■ „Bomben auf Utopia“: Nächste Lesung heute von 19.30 bis 20 Uhr, Lemans, Keplerstraße 36