: Eine höchst seltsame Realität
FOTOGRAFIE Der Krieg als permanent inszeniertes Theater: In Israel entstand Martin Kollars Serie „Field Trip“, jetzt in Mannheim zu sehen
VON MARKUS WECKESSER
Als Martin Kollar erstmals nach Israel reiste, fühlte er sich unweigerlich an seine Kindheit und Jugend in der Tschechoslowakei erinnert. Die dauerhafte Präsenz des Militärs in einem Land, das seine Grenzen sichert, um unerlaubte Übertritte mit Gewalt zu verhindern und die staatliche Ordnung aufrechtzuerhalten, weckte bei dem Fotografen ein längst vergessen geglaubtes Gefühl von latenter Anspannung, eine Ahnung von physischer und psychischer Gefahr. Mit seiner preisgekrönten Serie „Field Trip“, die derzeit im Zephyr – Raum für Fotografie in Mannheim zu sehen ist, gelingt es Martin Kollar, dem Betrachter eben jenes körperliche Unbehagen zu vermitteln.
Dass Fotografie aus Israel eine derart unmittelbare Wirkung zu erzielen vermag, ist ungewöhnlich. Zumal angesichts einer Medienberichterstattung, die anscheinend nur auf Bombenattentate und bewaffnete Grenzvorfälle, politische Hardliner und religiöse Fanatiker fokussiert ist. Das alltägliche Leben jenseits des israelisch-palästinensischen Konflikts wird redaktionell nur selten berücksichtigt.
Aber Martin Kollar hat auch gar nicht erst versucht, mit seiner Arbeit Lösungen oder Erklärungen für die komplexe und verfahrene Auseinandersetzung zu finden. Sein fotografischer Ansatz ist weder journalistisch noch dokumentarisch. Da seine auf den ersten Blick verstörenden Bilder nicht eindeutig zu verorten sind, machen sie die Unsicherheit spürbar, die aus dem permanenten Nebeneinander von militärischem und zivilem Leben des Landes erwächst.
Eine Straßensperre ist zunächst einmal kein ungewöhnliches Motiv. Die Barrikade bei Martin Kollar erinnert hingegen eher an ein bühnenartiges und skulpturales Arrangement. Die rostigen Blechteile und Ölfässer wirken wie eine symbolische Blockade. Eine Panzer könnte damit jedenfalls nicht aufgehalten werden. Ebenso merkwürdig aufgeräumt und sauber wirken die abgesperrte Straße und die kubischen Gebäude im Hintergrund.
In der Tat handelt es sich um eine inszenierte Szene, die zu Trainingszwecken in einem militärischen Camp dient. Nur ist das für den Betrachter der Fotografien nicht gleich ersichtlich. Ein anderes Bild der Serie zeigt drei auf dem Boden schlafende Männer. Einer davon ist ein Soldat, er trägt einen Helm und ist mit Patronentaschen umgürtet. Vor ihm liegt sein Gewehr. Die beiden anderen Männer haben Palästinensertücher um ihre Köpfe gewickelt und sind in graue Kleider gehüllt. Was auf dem Foto wie eine utopische Idylle anmutet, entpuppt sich ebenfalls als Übungspause.
Weniger leicht zu entschlüsseln ist das Bild einer jungen Frau, deren Kopf von einer Schraubzwinge fixiert und mit Kabeln und Schläuchen vernetzt ist. Oder die Aufnahme von einem blutenden Schaf, dem ein handtellergroßer Gummireifen in den Magen eingesetzt wurde. Erst in der Zusammenschau der kompletten Serie erschließt sich allmählich, dass Martin Kollar hier Versuchstiere und Menschen in wissenschaftlichen Testlaboren und Forschungsinstituten fotografiert hat. Und zwar genau so, wie er sie vorgefunden hat. Der Fotograf selbst inszenierte nichts.
Befremdlich wirken die Bilder ja nur, weil sie aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgelöst sind. „Die Realität ist seltsamer als die Fiktion“, sagt Kollar. Indes dürfte der grundsätzliche Verzicht auf Bildtitel und Erläuterungen, sowohl in der Ausstellung als auch im begleitenden Fotobuch, die anfängliche Verwirrung des Betrachters befördern. Einerseits möchte der Fotograf die Bilder für jede Interpretation offenhalten, andererseits wird dem Publikum einiges abverlangt.
Die Kuratoren der Ausstellung kommen dem Besucher jedoch entgegen, indem sie die Aufnahmen dialektisch in Bezug zueinander setzen und so neue und vielfältige Lesarten ermöglichen. Zudem nutzen sie unterschiedliche Formate, Raster und Fototapeten, was die Bilddramaturgie dynamisiert. Zugleich verwandelt die ziemlich grelle Beleuchtung den Ausstellungsraum selbst in eine Art Sehlabor.
Entstanden ist „Field Trip“ zwischen 2009 und 2010 auf Einladung des französischen Fotografen Frédéric Brenner. Für das von ihm initiierte Projekt „This Place“ bat er Fotokünstler wie Stephen Shore, Gilles Peress, Jeff Wall und Thomas Struth um neue Ansichten von Israel. Kritisiert wurde zu recht, dass sein Konzept Palästina außen vor lässt. Die militärischen Anstrengungen liegen schließlich vor allem hier begründet. Auch Martin Kollar fotografierte nur jenseits der Grenze. Unterschwellig präsent ist der Konflikt trotzdem.
■ Bis 31. Mai, Zephyr – Raum für Fotografie, Mannheim