: Jeden Kaffeelöffel misstrauisch zählen
MALEREI Eisenbahnromantik und die Müdigkeit der Arbeiter: Das Bröhan-Museum in Charlottenburg erinnert mit der sehenswerten Ausstellung „Bilderbuch des Lebens“ an den Berliner Künstler Hans Baluschek (1870–1935)
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Wie erreicht man die Stadt? Mit der Eisenbahn. Ihr ist der erste Raum der Ausstellung über den Maler Hans Baluschek im Bröhan-Museum gewidmet. In „Schneeverweht“ aus dem Zyklus „Wege der Maschine“ von 1909 steckt eine Lok in einer Schneewehe fest, ein Mast an der Strecke ist schon gebrochen, das Licht auf dem Schnee geht langsam in Dämmerung über. Das Schwarz des Eisens ist so kalt wie das Weiß des Schnees. Auch in „Vor der Stadt“ (1918) ist es Winter und Dämmerung, die Fenster der kleinen Giebelhäuser unter ihren Schneemützen leuchten wie heute nur noch im Adventskalender, und gerade noch hebt sich der Dampf der Eisenbahn, die ein Viadukt überquert, vom sich verfärbenden Himmel ab.
Maschinen kosten Kraft
Hans Baluschek, Sohn eines Eisenbahners, 1870 in Breslau geboren, er hat die Eisenbahn geliebt und ihr viele, oft stimmungsvolle Bilder gewidmet. Aber er sah auch, was die Maschinen, die er bewunderte, den Menschen an Kraft kosteten und wie hart die Bedingungen ihrer Arbeit waren. Der „Eisenbahner-Feierabend“ (1895) erzählt davon, eine dunkelfarbige Zeichnung, als ob sich Asche und Rauch in alle Farben gemischt hätte. Müde Männer, die Augen gesenkt, die Glieder schwer, die Kleidung zerbeult, traben einen von Bohlen gestützten Gang entlang, während oben auf dem Damm die Züge stehen. Oder Baluschek stellt ein „Vagabunden“-Pärchen (1921) vor, zwei dürre, ausgemergelte Körper, die, ganz sicher ohne Fahrkarte, aber mit viel Zeit, die Züge aus der Ferne betrachten. So erweckte der Maler das Mitgefühl mit denen, die der Fortschritt nicht mitnahm.
„Bilderbuch des Berliner Lebens“ heißt die Ausstellung, die das Bröhan-Museum, das ebenso wie das Märkische Museum viele seiner Werke besitzt, dem Berliner Maler widmet. Die letzte große Baluschek-Ausstellung liegt über zwanzig Jahre zurück. Seine gemütvollen Bilder aus den Milieus von Eisenbahnern und Fabrikarbeitern, von Vorstadt und aus der Laubenkolonie, von Kleinbürgern und randständigen Existenzen haben es in der Kunstgeschichte schwer, sich gegen die der eine knappe Generation jüngeren Maler Otto Dix und George Grosz zu behaupten. Im Vergleich mit deren expressiven Zuspitzungen und grotesken Überzeichnungen wirkt Baluschek wie ein vormoderner Naturalist. Das Milieu aber, das er in großformatigen Bildern zum Thema machte, galt im Berlin der Kaiserzeit als Gegenstand des Wegsehens, und genau das regte ihn auf. „Meine Waffen: Pinsel, Kohle, Feder, Bleistift sollen hauen und stechen“, schrieb er 1920 in dem Text „Im Kampf um meine Kunst.“
Wer das Bröhan-Museum, das Landesmuseum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus, nicht kennt, ist womöglich überrascht, Baluscheks Kleinbürgerliebe hier zwischen viel Silber und Kristall und anderen Luxusgütern ausgestellt zu sehen. Aber zum einen besitzt das Museum, das aus einer privaten Sammlung hervorging, viele Werke Baluscheks, und Margrit Bröhan schrieb schon vor acht Jahren eine gute Monografie über den Maler. Zum anderen ist sein Stil oft gar nicht so weit entfernt von der Schönlinigkeit des Jugendstils, von dessen stark konturierten Flächen und bewegten Linien – nur dass Baluscheks Figuren nie von Eleganz geprägt sind, sondern eher von Schlichtheit und Kargheit. Lang gezogen sind die Gesichter der ältlichen Damen, die er in „Hier können Familien Kaffee kochen“ in einem sonst leeren Ausflugslokal zeigt; üppig sprießen nur die Primeln, Hyazinthen und Rosen auf ihren Hüten, die nah zusammengerückten Mienen aber zählen misstrauisch jeden Kaffeelöffel mit.
Baluschek entwickelt eine eigene Technik für großformatige Bilder auf Pappe und Papier; die Zeichnung, oft physiognomisch genau, wird mit Farben Ton in Ton aufbereitet; kein malerisches Fest, kein Ausleben von künstlerischen Freiheiten, sondern ganz dem Thema unterworfen, zurückhaltend, bescheiden fast im Gestus. Mehrmals hat er das Motiv der Mittagspause in der Fabrik behandelt, wenn Frauen und Kindern Körbe mit Essen zu den Familienvätern tragen. In der ausgestellten Fassung von 1894 ist alles blass und blaugrau, die Kleider, die Schürzen, der Weg, selbst der Himmel.
Aber es gibt Ausnahmen von dieser farblichen Kargheit und die ist oft mit kleinbürgerlichen Vergnügungen verbunden. Das beginnt mit einem Tüpfelchen roter Glut, die er an Zigaretten und in Pfeifen setzt, steigert sich im Lampionumzug und explodiert in den Lichtern eines Karussells. Künstliche Beleuchtung und letztes Sonnenlicht am Himmel wetteifern gelegentlich. Er hätte, das sieht man, ein Romantiker sein können, ein Impressionist, dem sich selbst die Industrielandschaft in Schönheit verklärt, aber er hat es sich nicht gestattet und sah in den Impressionisten seine Gegner. Das Spielerische, Schwelgerische, die Verschwendung von Farben und Linien erlaubte er sich nur als Illustrator von Märchen- und Kinderbüchern, unter anderem von „Peterchens Mondfahrt“.
Verharren in Positionen
Hans Baluschek gehörte zur Berliner Secession (ab 1898) und zur Freien Secession, die er 1913 mitbegründetete; beide Künstlerbünde spalteten sich von ihren Vorgängern ab, denen sie bequemes Verharren in anerkannten Positionen vorwarfen. Liest man in schriftlichen Zeugnissen von damals, ist man über die Vehemenz und Polemik, mit der sich Künstler engagierten und einander kritisierten, überrascht. Baluschek war nicht nur in diesen intellektuellen Scharmützeln aktiv, er unterrichtete auch mit Käthe Kollwitz an der ersten Berliner Kunstschule für Frauen, als diese noch nicht zur Akademie zugelassen waren.
Ausgestellt ist im Bröhan-Museum auch ein Bild, in dem er das Milieu der leichten Mädchen aufgreift, nicht voyeuristisch, eher versöhnlich. Er zeigt sie in einem überraschend friedvollen Moment. Im „Sonntagmorgen“ (1898) haben zwei von ihnen die Beine hochgelegt, neben sich eine leere Flasche, in der Hand eine Zigarette, Ruhe suchend, während das Licht des Morgens durch den Vorhang fällt. Es ist, wie viele Bilder Baluscheks, auch eine Genreszene, die den Anfang eines Romans bilden könnte. Man weiß nicht, wie sie die Nacht verbracht haben, wovon sie leben, man vermutet nur dies und das.
■ „Bilderbuch des Berliner Lebens“. Bröhan Museum, bis 15. April 2012, Di.–So. 10 – 18 Uhr