: Twitter ist kürzer
Ich möchte von meinem mobilen Endgerät erzählen, so einem elenden, auf den Distinktionsgewinn des Eigentümers ausgelegter Hosentaschencomputer … So einen habe ich. Und wenn ich sage „habe“, meine ich eigentlich „hatte“, denn die Apparatur war mit einem fehlerhaften Akku ausgestattet und ist jetzt im Handyhimmel. Also möchte ich eigentlich davon erzählen, wie das Leben ohne das mobile Endgerät ist. Hunderte Nachrichten verwesen ungelesen. Wie viele orginelle Graffiti unfotografiert und ungebloggt geblieben sind in der vergangenen Woche, mag ich gar nicht versuchen in Zahlen auszudrücken. Es waren mindestens acht. Außerdem muss ich ständig aus dem Fenster schauen, um zu sehen, ob es regnet. Und die Wasserwagenapplikation fehlt mir auch sehr. Steinzeitlich ist das. Der Gipfel von ’s Janze jedoch ist die Tatsache, dass ich wegen einer Reise nach Düsseldorf nicht am Twitter teilnehmen konnte. Jäh war ich zum postmodernen Paria geworden; ein Zurückgebliebener, ein Ossi. Und alle konnten es sehen. In der Bahn las ich eine Zeitung. Die Mitreisenden tauschten derweil mittels ihrer Wundermaschinen Beleidigungen aus mit den Schergen, die den Zwitscheraccount @DB_Bahn bedienten. Wir hatten bereits bei Abfahrt aus Berlin eine Stunde Verspätung. Das war der Moment, als ich mir vornahm, über diese crazy Grenzerfahrung eine Zeitungskolumne zu schreiben. Et voilà.
Nach nur wenigen Tagen erreichten wir das Ziel und ich begab mich auf direktem Weg in die beste (kein Scherz!) Konzerthalle des Ortes, das ZAKK, wo an jenem Abend eine 80er-Party stattfinden sollte, was die Gastgeber für ein angemessenes Touristenprogramm hielten. Abgewrackte Gestalten, die alkoholisiert über die Tanzfläche taumelten und den wunderbar angelegten Club mit ihrer epischen Uncoolness entehrten, hatten durchaus ihren Unterhaltungswert, jedoch war der Nebenraum mit geschmackvollem Dark-Wave-Programm weitaus einladender. Und dort war es auch, dass ich inmitten dieser in bedrohliches Schwarz gekleideten und entrückt tanzenden Gestalten das erste Mal seit über einem Jahrzehnt wieder „Headhunter“, den Clubhit der belgischen Combo Front 242 hörte. Von der Platte „Front by Front“ ausgekoppelt, ist das Lied der Signature Song dieser Band, die quasi im Alleingang der Welt die Stilrichtung der Electronic Body Music, kurz EBM, geschenkt hat. Und das war eigentlich alles, was ich sagen wollte. Oder wie die Geschichte bei Twitter gegangen wäre: „Grad nach langer Zeit mal wieder zu Front 242 getanzt. Crazy Shit. So ist Düsseldorf.“ Aber, das ging ja nicht (siehe oben). DANIÉL KRETSCHMAR
■ Front 242: 29. 12., Huxleys