: Die Confiserie am Rande der Antarktis
SCHOKOLADE Die Pampa, Pinguine und der Perito-Moreno-Gletscher: Patagonien ist ein einsamer Landstrich. Naturlandschaft zwischen zwei Staaten: ein Drittel chilenisch, zwei Drittel argentinisch. Alteingesessene Zuwanderer pflegen ihre Tradition
■ Das Geschäft: La Chocolatta Bories 852, Punta Arenas, Chile Tel.: ++56 (0) 61-24 81 50 E-Mail: chocolatta@123.cl
■ Chocolates Norweisser: Ein weiteres kleines Familienunternehmen im Zentrum von Punta Arenas. Nora Weisser mit deutschen Vorfahren hatte 1970 damit begonnen, ihren Kindern selbstgemachtes Naschwerk mit in die Schule zu geben. Die süßen Köstlichkeiten waren schnell in aller Munde und begeisterte Eltern baten Frau Weisser um mehr. Die Familie wurde eingespannt und die Rezepte der deutschen Großeltern, gefunden im Bücherregal, blieben ein Familiengeheimnis. Während eines Deutschlandbesuchs kaufte sie professionelle Knetmaschinen. Dank der „Kreuter“ aus dem Jahre 1931 nahm die Pralinenproduktion ihren Lauf. Chocolates Norweisser, Carrera 663, Punta Arenas, Chile, Tel.: ++56 (0) 61-22 39 00 www.norweisser.cl
■ Allgemeine Informationen: Tourismus-Infopavillon auf der Plaza de Armas www.puntaarenas.cl
■ In Deutschland: www.chiletouristik.com
VON MICHAEL MAREK
Man kneift die Augen zusammen. Es ist windig hier am 53. Breitengrad in Punta Arenas. Etwa 120.000 Einwohner leben in der größten südlichsten Stadt dieser Welt. Wind, Eisstürme, Hagel, Sonne, Regen, blauer Himmel, alles ist möglich. Die Jahreszeiten vermählen sich in Patagonien an einem einzigen Tag, sagt man. 1520 war der portugiesische Seefahrer Ferdinand Magellan bis zum Zipfel Südamerikas gesegelt und hatte bei Punta Arenas eine Passage zwischen Atlantik und Pazifik entdeckt. Doch es sollte bis 1848 dauern, bis eine richtige Stadt gegründet wurde. Damals galt Patagonien als ein Wunderland, ein Terra incognita, Fantasieort ruheloser Abenteurer und Auswanderer. Vor allem aus dem fernen Europa. Heute leben auf einer Fläche, die knapp dreimal so groß wie Deutschland ist, etwa so viele Menschen wie in Hamburg.
Die wenigen Städte wie Punta Arenas sind wie Fremdkörper umgeben von der endlosen Pampa, dem Weideland der Schafe. Der Reichtum Patagoniens ist bis zum heutigen Tag das Öl und die Schafwolle. Das schwarze und das weiße Gold. „Und Schokolade“, ergänzt María Isabel Baeriswyl stolz. Hier, nur knapp 1.400 Kilometer von der Antarktis entfernt, wird tatsächlich Schokolade produziert – vor allem zu Weihnachten. „Alles in Handarbeit“, erzählt die 49-Jährige, „und nach alten Familienrezepten.“
Zusammen mit ihrer 82-jährigen Mutter hat sie eine kleine Fabrik im Zentrum von Punta Arenas aufgebaut, die in ganz Chile für ihr Naschwerk bekannt ist. Bonbons werden hier hergestellt, alle Sorten von Schokolade, sogar Pralinen, Trüffel, Kuchen, karamellisierte Früchte und Konfitüre. Schon auf der Straße hat man den süßlichen Duft in der Nase. „Fábrica de Chocolates“ steht in schwarzen und roten Lettern auf dem Schild über dem Eingang. Willkommen in der „Chocolatta Baeriswyl“!
Trotz der Weihnachtsvorbereitungen hängen im Geschäft an den Wänden die Schweizer Fahne und zahlreiche Gletscherfotos. Alpenlandschaft. Die Bilder erzählen von den Schweizer Vorfahren, die Ende des 19. Jahrhunderts nach Chile ausgewandert sind. Die Baeriswyls leben und arbeiten in Punta Arenas bereits in der vierten Generation. María Isabel steht mit ihrer weißen Schürze und ihrer braun-weiß gestreiften Bluse zwischen all den Rührgeräten und Schokoladenförmchen in der kleinen improvisierten Fabrik. „Schon meine Großmutter konnte wunderbare Süßigkeiten zubereiten. Aber es dauerte, bis mein Interesse an einer Schokoladenmanufaktur erwacht ist.“
Zunächst war alles nur ein Hobby – Süßigkeiten für Familie und Freunde. Doch aus der Passion wurde ein Beruf, und es entstand ein florierender Betrieb. Heute sind neun Personen mit der Herstellung der Schokolade beschäftigt und neun mit dem Verkauf und dem Café. Der Kakao kommt aus Brasilien, die Zutaten wie Zucker und Milch kommen aus Chile. Tausende von Kilogramm. Jahr für Jahr. Alles wird per Lkw oder Flugzeug geliefert, um dann als Schokolade, im Handgepäck der Kreuzfahrttouristen verstaut, wieder um die Welt zu reisen.
María Isabel Baeriswyl antwortet ein wenig aufgeregt, wenn sie von ihren Vorfahren berichtet. Die kamen Mitte des 19. Jahrhunderts aus der Gegend um Fribourg nach Patagonien. Chile und die Schweiz hatten einen Vertrag geschlossen. Danach wurde den Schweizern Land angeboten, um sich in Patagonien anzusiedeln. Der Urgroßvater war Uhrmacher, bevor er 1876 mit seiner Familie nach Punta Arenas ging, erzählt die begeisterte Hobbypianistin, die noch immer ein paar Brocken Deutsch versteht. Der Laden, in der Hauptstraße Bories gelegen, besteht seit 1902, allerdings immer mit verschiedenen Geschäften: Mal war es ein Uhrenladen, dann eine Drogerie, und seit 2000 ist es ein Café mit angeschlossener Schokoladenfabrik.
Wichtig ist die Güte des Kakaos
„Die Geschichte ist schon merkwürdig“, ergänzt Mutter Elena Rada, „zuerst hat meine Tochter als Kosmetikerin Parfüm verkauft. Und nun eine Fachfrau für Süßigkeiten!“ Elena Rada sitzt in einem Büroraum. Ihr knallig farbiger Lippenstift und ihr Halstuch geben ihr etwas Jugendliches. Mit flinken Händen ist sie dabei, die hübschen Geschenkboxen aus Holz mit bunten Schleifen zu dekorieren. „Das Auge kauft mit!“
Etwa ein bis zwei Tage dauert die Schokoladenherstellung. Jeden Tag wird eine andere Sorte produziert. Auf engstem Raum, per Hand und ohne Maschinen. „An Feiertagen ist die Chocolateria voll“, berichtet María Isabel Baeriswyl. Touristen kommen vorbei, auch die Bewohner von Punta Arenas. „Zum Valentinstag, zu Ostern und vor Weihnachten gibt es viele Bestellungen.“
Die größte Herausforderung im Schokoladengeschäft? „Das ist doch klar“, sagt María Isabel Baeriswyl. „Immer gleiche Qualität herzustellen!“ Das sei irrsinnig schwierig. Vor allem die Güte des Kakaos ist entscheidend. „Wir verwenden nur Naturprodukte, keine Konservierungsmittel. Deshalb ist unsere Schokolade nur begrenzt haltbar. Mit Konservierungsmitteln verändert sich der Geschmack.“ Aber was, wenn Touristen nicht mehr bis ans Ende der Welt kommen? „Von der Wirtschaftskrise haben wir nichts gemerkt. Wir werden bestimmt die Letzten sein, die davon etwas mitkriegen.“