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Archiv-Artikel

Ein Herz für Bruderhähne

KORREKTE EIER Im Hühnerstall werden nur Hennen gebraucht. Um die Tötung männlicher Küken zu vermeiden, will ein Bioland-Bauer bei Schleswig die Tiere großziehen und schlachten. Aber der Verkauf der „Bruderhähne“ ist schwierig

AUS SELK ESTHER GEISSLINGER

Claus Andresen stapft über die Wiese auf die Erna zu, er macht große Schritte, um den Pfützen zwischen den Ackerfurchen auszuweichen, den Kopf hat er tief in den Kragen seines Blaumanns gezogen: Der Wind weht scharf, und die Wolken ziehen über den Himmel, als ob sie eine Verabredung hätten. Die Hühner stehen auf Ernas sonniger Seite, sie gluckern, als der Bauer herankommt.

Erna ist ein Hühnerhaus auf Rädern, eine Eigenkonstruktion von Claus Andresen, der nun einen Eimer holt und beginnt, Körner auf den matschigen Boden zu streuen. Die gute Nachricht spricht sich schnell herum: Eine braun-weiße Welle aus Federn rauscht aus der Erna – darunter auch einige wenige Hähne. Dabei braucht man sie zum Eierlegen nicht. Auf Andresens Bioland-Hof im Dorf Selk bei Schleswig sind sie trotzdem.

Über die „Bruderhähne“ wird erst seit einigen Jahren öffentlich diskutiert, auch unter Landwirten hat das Thema früher keine große Rolle gespielt, erinnern sich Claus und Babette Andresen. Auch Bio-Betriebe entschieden die alte Frage, ob zuerst Henne oder Ei kommt, ganz pragmatisch: Es sind die Hennen.

Zweimal im Jahr fährt Babette Andresen zur Brüterei und kauft 3.000 fiepende, gelbe Daunenbällchen. Die allermeisten dieser Küken sind weiblich. Auf etwa 40 weibliche Tiere kommt ein männliches, so ist es am besten „für das Sozialgefüge im Stall“, sagt Babette Andresen.

In konventionellen Betrieben fehlen die Hähne ganz: Da sie keine Eier legen, ist ihr wirtschaftlicher Wert geringer als Null – die Unkosten für Futter und Haltung übersteigen den Erlös für das Fleisch. Die männlichen Küken sind also überzählig, sie werden noch in der Brüterei getötet: „Geschreddert“, sagt Claus Andresen drastisch.

Die Tierchen landen oft als Futter in Tierparks oder gleich auf dem Müll. Das fühlt sich nicht gut an, das klingt nicht gut. Daher haben Öko-Verbände wie Bioland oder Demeter die Initiative „Bruderhahn“ ins Leben gerufen.

Im Kükenstall der Andresens recken die Tiere neugierig ihre Hälse. Die Hühnchen sind wenige Wochen alt, haben aber schon den Flaum der ersten Tage verloren – es sind eher staksige Pubertierende als Kleinkinder. Der Kükenstall ist Kita und Grundschule des Hofs, hier lernen die Tiere, nach Futter zu picken, auf Stangen zu hocken und sich zu vertragen. In der Anfangszeit kauften Andresens ausgewachsene Hennen und mussten sie Abend für Abend auf die Stangen setzen, weil die Tiere nicht wussten, wie sie sich in einem offenen Stall verhalten sollten.

Dass sie die Hühner nun selbst aufziehen, mache einerseits mehr Arbeit, erleichtere aber auch manches, meint Babette Andresen. Sie hat die Hühner auf den Hof gebracht: Claus Andresens Vater hielt Milchvieh, und das wollte auch der Sohn, der den Betrieb vor 24 Jahren übernahm. Allerdings sollte es Ökolandbau sein – damals ein eher exotischer Gedanke. Während die Kuhställe umgestaltet wurden, experimentierte Babette Andresen mit Hühnern: Erst nur zehn, die im Gemüsegarten pickten, dann ein erster Stall mit 700 Tieren. Die Eier verkauften sich besser als Milch, das Ehepaar baute die Zucht auf.

Heute stehen in den Ställen Agatha, Berta, Clara und Erna je 1.500 Hennen, in den Kükenställen warten 3.000 Jungtiere darauf nachzurücken. Futter produziert der Hof zu einem großen Teil selbst, 20 Mutterkühe mit Kälbern stehen im Stall, auch ein paar Schweine wühlen im April-nassen Boden. Andresens verkaufen an Bioläden und beliefern „Abo-Kisten“, die vor allem in Hamburg an Haushalte geliefert werden. „Es läuft richtig rund“, sagt Claus Andresen.

Im Familienbetrieb arbeiten inzwischen die Söhne Nico (24) als Angestellter und Jörn (16) als Lehrling mit, auch die jüngste Tochter hilft. Nur Stina, die ältere, ist nach einem Studienjahr in den USA für das Landleben verdorben: „Ganz lassen kann sie es aber nicht, zu Ostern kommt sie her“, sagt ihre Mutter.

Jungbauer Nico Andresen gefällt, dass sie im Betrieb so vieles ausprobieren können: Futter selbst mischen, Ställe auf Räder setzen, damit die Hühner alle paar Wochen auf einer frischen Scholle picken können. Und Hähne aufziehen, die nicht nur Sozialpartner für die Hennen sind, sondern im landwirtschaftlichen Betrieb einen eigenen Wert haben. Doch das läuft – schlecht.

30 Euro verlangen Andresens für einen Hahn. Das sei angemessen, meint Babette Andresen: „Kein Tier hat es verdient, dass es verschleudert wird.“ Ein ausgewachsener „Bruderhahn“, das männliche Tier einer Rasse, die vor allem für das Legen gezüchtet wird, schmeckt anders als der gewohnte Fleisch-Gockel. „Wie Fasan“, sagt die Bäuerin. „Wie Truthahn“, meint der Bauer. Auf jeden Fall besonders.

Mit dem Verkauf aber hapert es: „Wenn Leute selbst aktiv werden und auch noch Geld ausgeben sollen, wird es schwierig“, sagt Nico Andresen. Als die Bruderhahn-Debatte aufkam, kauften Andresens einige Hundert männliche Küken für die Aufzucht – und blieben auf dem Fleisch sitzen. „Vorher war das Interesse groß, am Ende wollten Läden oder Markt-Beschicker bestenfalls ein, zwei Hähne“, sagt Claus Andresen. Für den Familienbetrieb ein Zuschuss-Geschäft, das nicht lange durchzuhalten war.

Inzwischen haben Andresens eine pragmatische Lösung erdacht: Sie verkaufen „Genussscheine“, Gutscheine für ein schlachtreifes Tier. So ist die Aufzucht des Hahns bezahlt, bevor er als Küken auf den Hof kommt. Richtig gut funktioniert auch das nicht, aber Andresens wollen am Konzept festhalten: „Mir gefällt das besser als das Konzept der Öko-Verbände, beim dem es um einen höheren Eierpreis geht, mit dem die Hennen sozusagen ihre Brüder subventionieren“, sagt Claus Andresen. Männchen gockeln, Weibchen arbeiten – „das entspricht nicht meinen Prinzipien“.

Womöglich gelingt es in absehbarer Zeit, im Ei das Geschlecht des Kükens festzustellen, um die Tötung von Bruderhähnen zu vermeiden. Dann ist die Lösung einfach: Die männlichen Eier landen im Karton, die weiblichen werden ausgebrütet. Wie das Fleisch vom Bruderhahn schmeckt, wird dann keiner mehr wissen.