: Knietief im Ö
EIGENNAME Ich liebe das Internet. Dort bin ich Oertel, dort darf ich’s sein
-frei leben, und das schon über ein halbes Jahrhundert lang? Schön wär’s. Das Ö verfolgt mich penetrant auf Schritt und Tritt, weil viele es nun einmal nicht lassen können, mir den leidigen Umlaut anzuhängen bzw. voranzustellen.
So laufen beispielsweise telefonische Terminabsprachen für einen Arztbesuch immer nach demselben Muster ab. „Ihren Nachnamen, bitte?“ „Oertel.“ Erfolgt keine weitere Nachfrage, ist die Ö-Falle bereits zugeschnappt, und ich bin als Barbara Örtel (manchmal, was noch dämlicher ist, auch Örtl) in der Anmeldeliste vermerkt.
Manchmal jedoch gelingt es mir, durch vorauseilendes Buchstabieren (Otto, Emil …, Sie wissen schon) einer fehlerhaften Schreibweise zuvorzukommen. Was allerdings die AssistentInnen der Weißkittel nicht davon abhält, das Ö in Rezepten oder Krankschreibungen hartnäckig zu wiederholen.
Bisher wurden mir die verordneten Medikamente immer problemlos ausgehändigt. Das sieht bei Flugtickets schon ganz anders aus. Wo Örtel draufsteht, im Pass jedoch Oertel drinsteht, ist Schluss mit lustig. Dann führt kein Weg mehr ins gebuchte Flugzeug, was ja manchmal ganz gut, weil lebensverlängernd sein kann.
Ein derartiger Fauxpas passiert natürlich nicht, wenn ich mein Ticket im Internet buche.
Apropos Internet: Dort bin ich, in mancher Hinsicht zumindest, auf der absolut sicheren Seite. Örtel@… als E-Mail-Adresse? Von wegen. Im weltweiten Netz, wo sonst ja eigentlich alles geht, stoßen Umlaute an ihre Grenzen. Das Internet kennt sie nicht – Globalisierung hin oder her.
Mit einiger Genugtuung registriere ich, dass ich in der Mailadresse oertel@… bin, und das ganz ohne ausschweifende Erklärungsarien. Na ja, die Freude währt nicht lange, denn die Ernüchterung folgt sofort beim Blick auf die Anrede im elektronischen Brief: „Sehr geehrte Frau Örtel, …“
Doch das ficht mich nicht an. Und meine Liebe zum Internet auch nicht. Oder, um es mit Johann Wolfgang von Goethe („Faust“, Teil I, Vor dem Tor) zu sagen: „Hier bin ich Oertel, hier darf ich’s sein.“ Dass das so bleibt, dafür werde ich sorgen. Und wenn es denn sein muss, auch noch die nächsten 50 Jahre lang!