: reflect!
Die bildungspolitische Gruppe am OSI setzt sich für gesellschaftskritische Sozialforschung ein
■ Termin
Die nächste Veranstaltung von reflect! findet am 21. 1. 2012 im Mehringhof, Gneisenaustraße 2a, zum Thema „Kritische Geschichte“ statt.
■ Im Netz
Alljährlich wieder finden sich begeisterungsfähige, reflektierte StudentInnen, die das herrschende Bildungssystem kritisieren und gegen seine zunehmende Verschulung und Rationalisierung protestieren. Die Gruppe reflect! ist ein Kind dieser Bewegung. Sie hat sich im Jahr 2004 gegründet, als mit einer neuen Studienreform das Bachelor und Mastersystem eingeführt werden sollte und sich eine starke Verschlechterung der Studienbedingungen ankündigte.
Damals versuchten viele hochschulpolitisch Aktive aus der Fachschaftsinitiative am Otto-Suhr-Institut (OSI) der FU Berlin und dem AStA in Auseinandersetzung mit den Verantwortlichen der Uni die gesellschaftskritische Tradition des OSI wiederaufleben zulassen. Als sich abzeichnete, dass sie dieses Ziel nicht erreichen konnten, entstand der Plan, eine eigene bildungspolitische Gruppe zu gründen: „Für Leute, die gesellschaftskritische Sozialwissenschaften machen wollten, war klar, es wird kein Platz mehr für uns sein“, erzählt Katharina Lenner, ein Gründungsmitglied der Gruppe. Damals entschieden ungefähr 20 AkademikerInnen, sich eine eigene institutionelle Basis zu schaffen, von der aus sie in die bildungspolitische Landschaft eingreifen wollten.
Ziel von reflect! ist es, sich mit anderen zu vernetzen, sich weiterzubilden und Einfluss auf bildungspolitische Debatten zu nehmen, indem die Mitglieder auf Podien diskutieren und reflect! als Idee vorstellen. Ein Grundgedanke davon ist, dass Wissenschaft, sei es als Lehre oder durch Publikationen, auch eine ernst zu nehmende Form politischer Intervention ist. In der Gruppe herrscht der Konsens, sich keiner Parteipolitik oder einseitigen Förderung zu unterwerfen. Wichtig ist den Mitgliedern eine undogmatische Haltung und die Offenheit gegenüber vielfältigen Perspektiven. Anfangs vertrat die Gruppe noch die Idee, ein eigenes Institut für kritische Theorie zu etablieren. Die Idee geriet zunehmend ins Wanken, als klar wurde, dass alltägliche Probleme wie Zeitmangel und Lohnarbeit, aber auch die Erfordernis von Kompromissen gegenüber potenziellen Sponsoren auftraten.
Die Gruppe verteilt sich heute auf verschiedene Arbeitskreise zu den Themen Intersektionalität, Migration, Staatstheorie und Kritische Lehre und trifft sich einmal monatlich zu einem gemeinsamen Plenum, auf dem im Wechsel organisatorische und inhaltliche Dinge diskutiert werden. Die Arbeitskreise versuchen mit Artikeln und Positionspapieren auf den Wissenschaftsbetrieb und öffentliche Debatten Einfluss zu nehmen.
reflect! organisiert aber auch internationale Forschungsprojekte wie „Gender and Emancipation – Perspectives from East and West“, bei der junge WissenschaftlerInnen und AktivistInnen aus Syrien, dem Sudan, den USA und Deutschland sich im Jahr 2008 trafen, um sich über Fragen zu Geschlechterverhältnissen und Emanzipation auszutauschen. Die Projektergebnisse wurden zweisprachig verfasst und sind als Onlinepublikation unter www.genderandemancipation.org/ veröffentlicht.
Die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen ist auf linke AkademikerInnen ausgerichtet. Die Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung (AkG) und der Bund demokratischer WissenschaftlerInnen (BdWi) und die GEW AG Lehrbeauftragte sind Partner von reflect!. In Kooperation mit dem Verein Helle Panke werden mehrmals jährlich Seminare zu Themen wie der Geschichte der Arbeiterbewegung, der Philosophie der Kritischen Theorie oder der Protestkultur seit 1968 angeboten.
Trotz ihres wissenschaftlichen Schwerpunkts ist die Gruppe bemüht, nicht nur im akademischen Bereich tätig zu sein und auch andere Bildungsschichten mit ihren Ideen zu erreichen: Schon mehrfach fand die Veranstaltungsreihe „reflectures“ statt, bei der Mitglieder von reflect! gemeinsam mit politischen AktivistInnen Themenabende zu Überwachung, Sexismus oder auch der Privatisierung des Gesundheitswesens organisierten.
Einige Mitglieder der Gruppe sind in der politischen Jugendbildung tätig. Sie haben das neueste Projekt, das die Gruppe unterstützt, ins Leben gerufen. Ziel ist es, eine Liste 100 interessanter Bücher zusammenzustellen, mit denen Jugendliche zu kritischem Denken und politischem Engagement angeregt werden können und diese mit einer Broschüre sowie auf einer Webseite zu präsentieren. Das Vorhaben entspringt genau wie die „reflectures“ dem Anspruch, über den universitären Rahmen hinaus auf Bildungspolitik einzuwirken.
Bei der nächsten Veranstaltung, an der reflect! mitwirken wird, stehen wieder universitäre Themen im Vordergrund. Am 9. Januar veranstaltet das Otto-Suhr-Institut seinen alljährlichen Institutstag, an dem Mitglieder des Arbeitskreises Kritische Lehre in Workshops und auf Podien über das prekäre Beschäftigungsverhältnis von Lehrbeauftragen und Möglichkeiten gesellschaftskritischer Lehre diskutieren. ZOÉ SONA