Nichts zu wollen

In der katholischen Gedenkkirche Regina Martyrum herrscht freundliche Stille inmitten apokalyptischer Kunst. Für die hier lebenden und betenden Karmeliterinnen sind die Stille und Begegnung mit anderen Menschen nicht voneinander zu trennen

VON ULRICH GUTMAIR

Im Neubaugebiet am Heckerdamm, im Norden Charlottenburgs, steht zwischen den Häusern plötzlich eine hohe Mauer, daneben ragt ein Glockenturm. Betritt man das Gelände, steht man auf dem großen, kahlen Hof von Maria Regina Martyrum. In einigem Abstand zeigt sich die Kirche als rechteckiger, fensterloser Block, der auf drei quergestellten Betonwänden ruht. Die Assoziation eines Gefängnishofs oder des Appellplatzes eines Lagers ist beabsichtigt. Die Kirche wurde 1960/63 von dem Architekten Hans Schädel als „Gedächtniskirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit aus den Jahren 1933–1945“ erbaut. Das Gefängnis Plötzensee, in dem einige tausend Widerständler hingerichtet worden sind, ist 20 Minuten zu Fuß entfernt.

Es ist nicht wirklich still hier draußen, und doch hat man schon beim Betreten des Gevierts das Gefühl, die Stadt hinter sich gelassen zu haben. Der Weg über den gepflasterten Hof, der sich in sanften Terrassen nach unten der Kirche zuneigt, erscheint lang. Das Schwarzgrau der Basaltkieselplatten der Mauern kontrastiert mit dem weißen Marmorkiesel des mächtigen Baukörpers der Kirche, der dennoch zu schweben scheint.

Einzig eine vergoldete Skulptur auf der Fassade widersetzt sich der fast brutalen Eleganz der Architektur, doch auch sie variiert das Thema der Apokalypse, das hier nach dem Willen der Architekten und Künstler immer wieder anders aufgenommen wird. Die dreigliedrige Bronzeskulptur von Fritz Koenig zeigt die apokalyptische Frau, von der im 12. Kapitel der Offenbarung des Johannes die Rede ist. Sie symbolisiert nach dem damaligen Stand der Exegese die Kirche. Über ihr sind sieben Strahlen zu sehen, die sich auch als Menora lesen lassen, die Moses zusammen mit den Tafeln der Gebote überreicht wurde.

Nach dem babylonischen Exil träumte der Prophet Sacharja von der Menora, die immer auch als Symbol des Baum des Lebens verstanden worden ist. Ein Engel erklärt ihm seinen Traum: „Nicht durch Macht und nicht durch Stärke, sondern durch meinen Geist spricht der Herr der Heerscharen.“ Diese Botschaft wurde seit jeher als Verheißung des Friedens zwischen allen Völkern interpretiert. Den Schwestern des nebenan gelegenen Karmels, die seit 25 Jahren an diesem Ort leben und beten, scheint diese messianische Hoffnung jedenfalls wesentlicher Teil ihres Auftrags zu sein. Sie empfangen hier jeden, egal welchen Glaubens. Wer einmal mit Schwester Maria-Theresia gesprochen hat, wird wenig Zweifel haben, dass die Schwestern keine Angst vor dem Gespräch mit Atheisten haben. Sie muss nicht darauf hinweisen, dass in den Lagern und Hinrichtungsstätten Kommunisten, Katholiken, Sinti und Roma, Juden und Zeugen Jehovas gestorben sind.

Ein langjähriger Freund der Schwestern des Karmels fragte einmal, was es denn heiße, dass sie hier beteten. Auch nach langem Nachdenken habe man darauf keine Antwort gefunden, sagt Maria-Theresia. Man könne sich lediglich auf eine Intuition berufen, wonach es richtig sei, an einem Ort der Erinnerung an die Massenvernichtung zu beten. Die Kirche sei ein Raum der Stille. Dann sagt die Schwester: Wir sind Menschen, die nichts wollen. Eben das spürten vielleicht diejenigen, die hierherkämen. „Die Stille schafft selbst Räume, in denen man mehr bei sich und mit anderen sein kann.“

Im Inneren der Kirche lassen vertikale Fensterbänder das Sonnenlicht herein. Das große Altarbild von Georg Meistermann verzichtet wie das ganze Ensemble auf versöhnlerischen Kitsch. Schwarze Blöcke sitzen drohend über den übrigen Farbflächen, auf denen die figürlichen Abbildungen klein erscheinen. Es sind das Lamm, das Auge und die Sichel. Sie ist das Symbol für den Tag der Ernte, am Ende aller Tage.