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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Der Hass der Arbeitsrichter

■ betr.: „Zum Nachdenken“, Leserbrief, taz vom 4./5./6. 4. 15

Arne Boyer, Richter am Arbeitsgericht Berlin, hat noch einmal kräftig der kürzlich gestorbenen Kassiererin „Emmely“ nachgetreten. Sein Leserbrief offenbart, dass es die Richter am Berliner Arbeitsgericht immer noch nicht verwunden haben, dass jemand von „denen da unten“, eine Kassiererin aus dem Supermarkt, ihre Klassenjustiz bloßgestellt hat und dass die beiden Urteile des Arbeitsgerichts und Landesarbeitsgerichts Berlin vom Bundesarbeitsgericht (BAG) aufgehoben wurden. Anstatt anzuerkennen, dass die Verhältnismäßigkeit, die das BAG zum Ausgangspunkt nahm, um Emmely wieder einzustellen, auch für die unteren gerichtlichen Instanzen gilt, von ihnen aber ignoriert wurde, bemäkelt Richter Boyer, dass das Urteil des BAG „handwerklich schlecht“ sei.

Dass Emmely die Pfandbons gestohlen haben soll, wurde vor den Berliner Gerichten nicht bewiesen, es gab lediglich Indizien. Das Problem ist ja vor allem, dass ein „begründeter Verdacht“ reicht bei der Verdachtskündigung, die immer noch in Kraft ist.

Die Verdachtskündigung wurde 1938 eingeführt und dazu verwendet, Juden und politische Gegner aus bestimmten Positionen zu drängen. Das BAG hat 1956 bestätigt, dass die Verdachtskündigung weiterhin Bestandteil des westdeutschen Arbeitsrechts ist. Arbeitgeber konnten unliebsame Arbeitnehmer ohne große Umstände auf die Straße setzen – und die Arbeitsgerichte haben dieses Spiel so lange mitgespielt, bis Emmely und die politische Öffentlichkeit in Deutschland es erstmals breiter diskutiert haben. Daher der Hass und die Häme des Arbeitsrichters aus Berlin – die Rolle der Justiz für die Aufrechterhaltung autoritärer Verhältnisse im Arbeitsleben wurde an die Öffentlichkeit gezerrt. Die herrschende Klasse vergisst nichts, auch kleine Siege der Gegenseite bleiben ihr ein Stachel.

Erivan Haub, Besitzer der Kaisers Tengelmann GmbH, sprach kurz vor dem Prozess vor dem BAG sogar von den zehn Geboten, die man nicht verletzen solle. Nun verkauft er den ganzen Konzern und Tausende werden entlassen werden. So sieht die Moral der herrschenden Klasse in Deutschland aus! JÖRG NOWAK, Komitee „Solidarität für Emmely“, Berlin

Entlarvende Äußerung

■ betr.: „Opposition ist einfach ein markanter Begriff“, taz vom 30. 3. 15

Das in der taz abgedruckte Interview mit dem angeblich „geläuterten“ Exrechtsradikalen Philipp Burger ist überflüssig. Ein neuer Erkenntniswert besteht nicht, da die Fragen erwartbar sind, die Antworten relativierend und verharmlosend. Interessanter wäre das Nachfragen hinsichtlich aktueller Konflikte um die Band Frei.Wild: So ist ein geplanter Auftritt auf einem Open-Air-Konzert in Schleswig im August dieses Jahres sehr umstritten. In diesem Zusammenhang spricht Burger über die den Auftritt ablehnenden Kommunalpolitiker: Diese seien „verlogene Gutmenschen“, denen es um die „Kohle der Steuerzahler und die Anerkennung ihrer Parteigenossen“ gehe. Wähler dieser Parteien (SPD, Grüne) ließen sich demnach „wie ein dummes Schoßhündchen führen und verarschen“. Entlarvender kann man seine Meinung zu kritischen Meinungen und zur Demokratie an sich nicht formulieren. RALF JETTER, Bollingstedt

Fragwürdige Verallgemeinerung

■ betr.: „Gewagte Multiplikationen“, taz vom 26. 3. 15

Das Buch von Miriam Gebhardt enthält nicht nur gewagte Rechenkunststücke, schon der Titel des Buches ist irreführend: Die alliierten Einheiten mussten Nazi-Deutschland meist gegen Einheiten von Wehrmacht, Waffen-SS oder Volkssturm bzw. Wehrwölfen befreien, so auch in Nordbaden. „Als die Soldaten kamen“ und auf Panzersperren trafen, beschossen wurden oder tagelang für das Ende der Nazi-Herrschaft kämpfen mussten wie in Königsbach, Niefern oder Pforzheim, kam es anschließend oft zu Vergewaltigungen.

„Als die Soldaten kamen“ und Menschen vor Ort Himmlers Befehl gegen weiße Fahnen und Hitlers Nero-Befehl – unter Lebensgefahr – missachteten, also Panzersperren abräumten oder nicht errichteten und weiße Tücher aus den Häusern hängten oder auf Kirchtürmen hissten, kam es meist nicht zu Vergewaltigungen.

„Als die Soldaten kamen“ und von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen aus den überfallenen Ländern, Dienstverpflichteten aus dem Elsass und/oder von der französischen Sprache Mächtigen mit weißen Fahnen empfangen wurden, kam es meist nicht zu Vergewaltigungen. „Als die Soldaten kamen“ und lokale Akteure Verantwortung übernahmen, als Pfarrer, Lehrer oder Bürgermeister nach der gewaltlosen Übergabe mit den französischen Kommandanten verhandelten, stimmten diese oft den Schutzmaßnahmen für Frauen zu (Kirchenasyl) bzw. ergriffen diese sogar selbst und brachten Frauen in bewachten Schutzräumen in Schulen oder Rathäusern unter und verhinderten so Vergewaltigungen.

„Als die Soldaten kamen“ und es zu Vergewaltigungen kam, ließen französische Kommandanten die Vergewaltiger zum Beispiel in Ersingen, Berghausen und Freudenstadt standrechtlich erschießen.

Die Behauptung von Miriam Gebhardt, „die“, also alle Soldaten hätten flächendeckend vergewaltigt, ist wenigstens eine unwissenschaftliche Verallgemeinerung. Die Behauptungen von Miriam Gebhardt von „flächendeckender Erfahrung“ und Vergewaltigung „in fast jedem Dorf“ mögen für das Erzbistum München/Freising stimmen. Im früheren Landkreis Pforzheim bzw. dem heutigen Enzkreis gab es im April 1945 in der Hälfte der Gemeinden aufgrund der genannten verantwortlich Handelnden, mehrheitlich Opfer der NS-Eroberungskriege und Nazi-Gegner, keine Vergewaltigungen. BRIGITTE und GERHARD BRÄNDLE, Karlsruhe