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Archiv-Artikel

Griechenland will 279 Milliarden

REPARATIONEN Die Regierung in Athen hat ihre Forderung an Deutschland wegen Kriegsschäden beziffert. Wirtschaftsminister Gabriel findet das „dumm“

Neben gesamtstaatlichen Forderungen gibt es auch griechische Einzelkläger

VON ULRIKE HERRMANN

BERLIN taz | Nun gibt es eine konkrete Zahl: 278,7 Milliarden Euro müsse Deutschland an Reparationen zahlen, sagte der stellvertretende griechische Finanzminister Dimitris Madras am Montagabend in Athen.

Seit zwei Jahren berechnen Experten des griechischen Finanzministeriums und der griechischen Zentralbank, wie hoch die Schäden zu beziffern sind, die die Deutschen im Zweiten Weltkrieg in Griechenland hinterlassen haben. Im März wurden die Ergebnisse publiziert: Die griechische Kommission kam auf einen Korridor von 269 bis 332 Milliarden Euro. Madras hat diese Zahlen nun konkretisiert.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) lehnt diese Forderung ab. „Ich finde das ehrlich gesagt dumm“, erklärte er am Dienstag. Denn die aktuelle Eurokrise habe „mit dem Zweiten Weltkrieg und Reparationszahlungen gar nichts zu tun“.

Der Streit um die Reparationen schwelt schon seit Jahrzehnten zwischen Griechenland und Deutschland. Die Bundesrepublik sieht das Thema als erledigt an und stützt sich dabei auf diverse Verträge. So wurde im Londoner Schuldenabkommen von 1953 festgelegt, dass über Reparationen erst verhandelt wird, wenn ein wiedervereinigtes Deutschland ein endgültiges Friedensabkommen abschließt. 1990 wurde daher gezielt vermieden, den 2-plus-4-Vertrag einen Friedensvertrag zu nennen.

Die Griechen haben diese deutsche Sichtweise nie akzeptiert. Allerdings existiert keine Möglichkeit, die Reparationszahlungen juristisch zu erzwingen.

Besser stehen die Chancen bei einem Zwangskredit, den die Griechen ab 1942 den deutschen Besatzern gewähren mussten und der sich schließlich auf 476 Millionen Reichsmark belief. Denn selbst die Nationalsozialisten erkannten an, dass sie dieses Geld zurückzahlen müssen.

Es ist allerdings umstritten, wie hoch der aktuelle Wert dieser Zwangsanleihe anzusetzen ist. Die Griechen fordern 11 Milliarden Euro, wobei auch stattliche Zinsen eingerechnet sind. Der reine Kredit würde heute etwa sechs bis sieben Milliarden Euro entsprechen.

Neben diesen gesamtstaatlichen Forderungen gibt es auch griechische Einzelkläger, vor allem aus den Dörfern Distomo und Kalavitra, die von der SS zerstört wurden. Deutschland erkennt dieses Unrecht an. Bei seinem Staatsbesuch in Griechenland im März vor einem Jahr sagte Bundespräsident Gauck: „Mit Scham und Schmerz bitte ich im Namen Deutschlands die Familien der Ermordeten um Verzeihung.“ Aber zahlen will die Bundesrepublik trotzdem nicht.

Die Reparationen sind nicht das einzige strittige Thema. Am Dienstag beschloss das griechische Parlament, dass sich ein Untersuchungsausschuss mit den Ereignissen im Frühjahr 2010 beschäftigen soll. Damals stand Griechenland vor der Pleite und konnte seine Staatsschulden nicht mehr bedienen. Es wurde mit Hilfskrediten der Troika gerettet, die sich inzwischen auf 240 Milliarden Euro belaufen. Die linke Syriza-Partei vermutet, dass ein Schuldenschnitt für die Griechen damals besser gewesen wäre, und will daher die „Rettungskatastrophe“ aufarbeiten.