: Musik für die Kanzlerin
Im vergangenen Jahr hat die Bundeskanzlerin in ihrer Neujahrsansprache von der Zuversicht gesprochen, davon, wie Deutschland die Krise gemeistert habe und gestärkt aus ihr hervorgegangen sei. Dann hat sie Karl Popper zitiert. „Die Zukunft ist weit offen. Sie hängt von uns ab, von uns allen.“ So banal kann Philosophie sein. Vielleicht schwingt sich Angela Merkel in diesem Jahr zu etwas mehr Seriosität auf. ABBA zum Beispiel böte sich an: „No more champagne / And the fireworks are through / … It’s the end of the party / And the morning seems so grey.“ Auch wenn der Grundton des Stücks „Happy New Year“ der Krise angemessen melancholischer ist, so zeigt das schwedische Quartett doch auch den für eine Politikerrede nötigen Optimismus: „May we all have a vision now and then.“ Vision? Na, das lassen Sie besser nicht den Exkanzler Schmidt hören. Der schickt Sie zum Arzt mit so was.
„Of a world where every neighbour is a friend.“ Genau. Eine der liebenswertesten Eigenschaften des deutschen Volkskörpers war schon immer der freundliche Besuch beim Nachbarn. Darauf lässt sich doch ganz wunderbar rekurrieren angesichts der Wirtschaftskrise, vor bröckeligem Präsidialamt und mit einem Koalitionspartner bei der Hand, der physikalisch gesehen inzwischen zur Nichtmaterie geworden ist (nicht zu verwechseln mit Antimaterie!).
ABBA, nicht wahr, mit diesem wunderbaren Neujahrslied, das einen so pessimistischen Blick auf die Perspektiven der Menschheit, aber einen so wohlwollenden auf den Menschen an sich offenbart – der Mut der Popmusik, die Wahrheiten auszusprechen, für die sonst Philosophen befragt werden … Ganze Akademikergenerationen halten sich über Wasser damit, die Natur der Gattung zu erkunden, und dann kommt so eine banale Kapelle: „Oh yes, man is a fool / And he thinks he’ll be okay / Dragging on, feet of clay / … Keeps on going anyway …“
Ja, Kanzlerin, Ihre Ermutigungen sind völlig unnötig. Lernen wir lieber von ABBA, die es in ihrer aktiven Zeit versäumt haben, „Happy New Year“ als Single auszukoppeln, außer in Argentinien mit der spanischsprachigen Version „Felicidad“. Schon damals hätten die Legionen von Soziologen, Politikforscher und Strategen an den Schaltstellen der Macht besser hinhören sollen: „Who can say what we’ll find / … In the end of eighty-nine …“ 1989! Die prophetische Frage nach dem kommenden Schicksalsdatum der Deutschen hat alle Kaffeesatzleser in Redaktionen, Parteizentralen und Stammtischen endgültig bloßgestellt. Womit wir am Wesenskern großer und bewegender Kunst angelangt wären: Happy New Year! DANIÉL KRETSCHMAR