Zerrinnender Champagner

Es wird wieder geküsst im Bremer Theater: Mit einer bemerkenswert konventionellen Inszenierung von Emmerich Kálmáns „Csárdás-Fürstin“ beglückt das Haus sein Operetten-Publikum

Von Henning Bleyl

„Keine Experimente“, sagt ein älterer Herr zu seiner Begleitung. Ob er das gut findet oder bedauert, ist nicht recht zu erkennen – jedenfalls analysiert er treffend die Premiere der „Csárdás-Fürstin“ von Emmerich Kálmán am Goetheplatz. Es ist eine Inszenierung, die vor 40 Jahren auch für das Pforzheimer Stadttheater passabel gewesen wäre.

Nun ist es eine nachvollziehbare Idee, dem geneigten Publikum – und um die Neigung betuchter Kreise kämpft Bremens neuer Theaterintendant Hans Joachim Frey mit unermüdlichem Einsatz – eine prä-silvestrige Operettenproduktion zu kredenzen. Kálmán kann man immer machen und Werner Schneyder, mit der Inszenierung beauftragt, ist ein interessanter Mann: Neben gelegentlichen Regieaufträgen arbeitet der Kabarettist als Drehbuchautor, „Sportstudio“-Aushilfe (zusammen mit Dieter Hildebrandt) und Sänger. Fragt sich nur, warum er sein Licht in Bremen so unauffindbar unter den Scheffel stellt.

Die Herzensortiererei von „Csárdás-Fürstin“ (Patricia Andress) und Komtesse Anastasia, die auf den reizenden Kosenamen „Stasi“ hört (Ingrid Frøseth), geht mit allerlei Neckereien, Herrenhumor und zerschmetterten Champagnergläsern seinen Gang, ohne das wirklich etwas anderes passiert. Dabei wäre auch auf einer überwiegend bonbonfarbenen Bühne (Monika Gora) so mancher Subtext denkbar gewesen, der dem Schmacht Aspekte abgewinnt. Der schmale Grad zwischen Schmelz und Schmalz verläuft an diesem Abend auf der Hinterkante des Orchestergrabens. Die Bremer Philharmoniker unter dem gerade primär als Chordirektor engagierten Tarmo Vaask zeigen ungeahnte Qualitäten als charmant-verspieltes Operettenorchester, das mancher musikalischen Eskapade in „Zigeuner-Moll“ einen ironischen Schimmer verleiht. Doch dahinter, auf der Bühne, herrscht die blanke Konvention.

Versuchen wir es positiv: Zwar mag manchem der Begriff „altbacken“ angesichts dieser Inszenierung geradezu als Frischesiegel erscheinen, aber man muss die Kirche ja im Dorf lassen. Denn technisch ist die Ensemble-Leistung durchaus in Ordnung – wobei es geradezu als Charakteristikum dieser Produktion gelten muss, dass es weder völlige Aussetzer noch herausragende Einzeldarbietungen gibt.

Die speziellen Talente sind dabei durchaus unterschiedlich verteilt. Als Fürst Edwin leidet Mark Duffin an seinem standesbewussten Vater, als Sänger an unerwünschten Schwebungen in seiner durchaus „großen“ Stimme. Schlimmer ist allerdings, dass seine emotionale Beteiligung am Bühnengeschehen einer technischen Stellprobe zu entspringen scheint. Roman Martin als Graf Boni wiederum fehlt ein wenig das Volumen, dafür macht er sich mit großer körpersprachlicher Präzision zum Mittelpunkt jedweden theatralen Geschehens. Auch Karsten Küsters ist als Buffo-Bass immer eine sichere Nummer.

Schneyder ist bekannt dafür, Skeptiker für seine jeweiligen Tätigkeitsfelder gewinnen oder zumindest interessieren zu wollen. Das hat er als Box-Kommentator gemacht – im März wird der 70-Jährige noch mal den Veteranen-Fight Henry Maske versus Virgil Hill verbal mit austragen –, er vertritt diese Haltung auch als Operetten-Regisseur: „Ich möchte, dass ich einen 25-jährigen jungen Menschen, der vielleicht glaubt, Operette sei nur lächerlich oder unsinnig, guten Gewissens ins Theater schicken kann.“ Der aktuelle Bremer Feldversuch muss diesbezüglich als gescheitert gelten – schon mangels einer kritischen Masse an ProbandInnen im angesprochenen Alter.

Einen Regieeinfall allerdings gibt es schließlich doch, und der schlägt mangels Konkurrenz voll durch. Es ist ein schlichtes Winken, mit dem der desillusionierte Oberstleutnant von Rohnsdorff (Jan Byl) die Gesellschaft der K.u.k.-Monarchie in ihren bevorstehenden Untergang verabschiedet. Warum sie sich auf der Bremer Bühne noch einmal ausleben durfte, bleibt freilich ein Rätsel.