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Für die Partei gegen die Partei

Die US-Demokraten eröffnen heute ihren Parteikonvent, auf dem Michael Dukakis zum Präsidentschaftskandidaten gewählt wird / Mit der Wahl des Konservativen Bentsen zum potentiellen Vize setzt Dukakis auf Sieg im Süden, verprellt aber einen Teil der Parteibasis / Jackson-Anhänger enttäuscht, aber nicht überrascht  ■  Aus Washington Stefan Schaaf

„Sie können sich darüber im klaren sein, daß sie heute hier einen schwierigen Stand haben. Wie sie wissen, wollten viele unserer Delegierten Jesse an diesem Platz sehen“, sagte Benjamin Hooks, Direktor der NAACP, der größten und ältesten schwarzen Bürgerrechtsorganisation der Vereinigten Staaten. Seine Worte waren an Senator Lloyd Bentsen gerichtet, den aristokratischen texanischen Ölmillionär, der einen Tag zuvor von Michael Dukakis zur allgemeinen Überraschung auf den Kopiloten-Sitz der demokratischen Präsidentschaftskampagne gehievt worden war.

In seiner Rede bemühte sich Bentsen dann, den NAACP -Delegierten zu vermitteln, daß ihnen zur Demokratischen Partei ohnehin keine Alternative bleibe: „Gleichgültigkeit kann 1988 einfach keine Option sein“, wenn man George Bush verhindern wolle. Doch die Enttäuschung der Zuhörer war deutlich, hatte sich ihnen in diesem Jahr mit der überaus erfolgreichen Kandidatur Jesse Jacksons erstmals die Möglichkeit eröffnet, die Demokraten als etwas anderes als das kleinere Übel zu unterstützen. Nun steht ihre Drohung im Raum, bei der Wahl im November zuhause zu bleiben und der Dukakis-Partei die Stimme zu verweigern. Viele schwarze Jackson-Unterstützer jedoch hatten ohnehin bezweifelt, daß das Parteiestablishment Jackson ernsthaft an der Macht teilhaben lassen würde. Immer wieder wurde während der Vorwahlkampagne die Erwartung geäußert, daß Jackson um die Nominierung betrogen oder daß er letzten Endes durch einen Mordanschlag aus dem Weg geschafft würde. Doch diese Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet. Stattdessen kommt Michael Dukakis mit einer klaren Delegierten-Mehrheit zum demokratischen Parteitag nach Atlanta, die es nicht einmal erforderlich macht, daß Jacksons mehr als tausend Delegierte für Dukakis stimmen. Konflikte wird es aber um die Plattform der Partei und auch um die Nominierung des Vizepräsidenten geben. Jacksons Unterstützer planen, ihn jetzt doch aufzustellen und eine Kampfabstimmung zwischen ihrem Favoriten und dem konservativen texanischen Senator zu erzwingen.

„Koalition des Absurden“

Die Enttäuschung über Dukakis‘ Anbiederung beim rechten Flügel der Partei ist umso größer, weil die Chancen auf einen grundsätzlichen politischen Wandel seit langer Zeit nicht mehr so günstig standen wie in diesem Wahlkampf. Der blinde Egoismus der Reagan-Jahre weicht zunehmend wieder einer Wertschätzung gesellschaftlichen Engagements. Hoffnungen auf eine radikale Abkehr vom Reaganismus durchzogen auch die „Socialist Scholar's Conference“ im April in New York, eine jährliche Versammlung von Akademikern und radikalen Aktivisten aus den verschiedensten Oppositionsbewegungen. Jesse Jacksons Erfolge in den ersten Vorwahlen, gerade unter weißen Wählern, waren in aller Munde. Doch, so die New Yorker Soziologin Francis Fox Piven während dieser Konferenz, es komme nicht unbedingt darauf an, ob Jackson am Ende nominiert werde oder nicht. „Die Bedeutung der Jackson-Kampagne hat vor allem damit zu tun, ob sie dazu beitragen kann, die Demokratische Partei in eine neue Richtung zu bringen - ob es also gelingt, das historische, zutiefst rassistische Bündnis zu zerschlagen, auf dem die Partei basierte.“ Dieses Bündnis existierte seit dem „New Deal“ Präsident Roosevelts in den dreißiger Jahren, als das Land mit massivem Staatsinterventionismus aus der Wirtschaftskrise geholt wurde. „Wir haben immer ein nostalgisches Bild vom „New Deal“, weil damals die Demokratische Partei fast zu einer amerikanischen Arbeiterpartei geworden wäre.

Doch der „New Deal“ war eine Koalition des Absurden. Er brachte eine teilweise aktivierte, teilweise gar mobilisierte Arbeiterklasse in den industrialisierten Nordstaaten mit dem oligarchischen Kastensystem der Südstaaten - einem System, das den Schwarzen und den armen Weißen das Wahlrecht vorenthielt - in einem politischen Bündnis zusammen.“ Doch im Kongreß kooperierten die Vertreter der Südstaaten-Demokraten mit den generell konservativeren Republikanern. Das „New Deal„-Bündnis innerhalb der Demokratischen Partei überlebte dennoch, trotz der gesellschaftlichen Veränderungen der fünfziger und sechziger Jahre, in denen die schwarze Bevölkerung zunehmend in die Städte abwanderte und politisch gleichzeitig immer weiter ins Abseits gedrängt wurde. „Jacksons Erfolge demonstrieren das Potential einer Mobilisierung der Partei von unten, einer neuen und anderen demokratischen Koalition, die nicht auf regionalen und rassischen Kriterien basiert, sondern auf gesellschaftlichen Klassen. Zum erstenmal seit der Bürgerrechtsbewegung werden die Veteranen in der Parteiführung wirklich herausgefordert, in den Wahlen und auf dem Parteitag.“

Bentsen attraktiver?

Der bekannte schwarze Autor und Soziologe Manning Marable beschrieb in einem Gespräch mit der taz vor einigen Wochen Jacksons Absichten von einem anderen Gesichtspunkt aus: „Die Jackson-Kampagne war in ihrem Kern eine soziale Protestbewegung gegen die Demokratische Partei - aber innerhalb der Partei. Das amerikanische Wahlsystem ist so aufgebaut, das dritte oder vierte Parteien praktisch keine Chance haben.“ Als 1983 und 1984 immer deutlicher wurde, daß der angebliche Wirtschaftsaufschwung an der schwarzen Bevölkerung völlig vorüberging, „wuchs das Bedürfnis nach einem wirksamen Protest gegen den Reaganismus der Republikaner und - wie ich immer sage - den „Reaganismus mit einem menschlichen Gesicht“ der Demokratischen Partei. So entstand die Idee eines schwarzen Protests gegen die demokratische Partei, und zwar, indem man einen schwarzen Kandidaten für die Präsidentschaft nominiert.“

Jackson, so Marable weiter, sollte eigentlich gar nicht dieser Kandidat sein, er wurde mangels einer besseren Alternative ins Rennen gezwungen. „Am Anfang wurden viele Namen genannt: Der schwarze kalifornische Kongreßabgeordnete Ron Dellums, oder Julian Bond“, der frühere Mitarbeiter Martin Luther King Jrs., der in Georgia im Parlament saß. „Jackson sollte eigentlich nur die Werbetrommel für diese Strategie rühren, doch dann wurde er selbst der Kandidat. Wenn man heute zurückblickt, scheint es, als sei er die logische Wahl gewesen. Niemand sonst hat das Charisma, die politische Hausmacht und das Prestige Jesse Jacksons.“ Jacksons Erfolg in den demokratischen Vorwahlen basierte auf dem nach acht Jahren „Reaganomics“ in der amerikanischen Bevölkerung gewachsenen Gefühl, daß der Kahlschlag bei Sozialprogrammen und staatlichen Eingriffsmöglichkeiten in die Wirtschaft zu weit gegangen ist. Auch mit Dukakis bot sich vielen Wählern ein passender Kandidat an, der als Gouverneur von Massachusetts gezeigt hatte, wie eine aktive staatliche Sozial- und Industriepolitik aussehen könnte. Jacksons Kampagne hingegen formulierte und unterstrich die moralische Forderung nach einer solchen neuen Politik: „Dukakis will das Durcheinander managen, ich aber will den Kurs ändern!“ sagte Jackson immer wieder.

Die Wahl Bentsens zum „running mate“ zeigt, daß Dukakis im November vor allem gewinnen will und dafür einen hohen politischen Preis zu zahlen bereit ist. Seine Wahlexperten haben ihm vorgerechnet, daß er am rechten Rand der demokratischen Wählerschaft, und damit vor allem in den Südstaaten, mehr an die Republikaner verlieren kann, als Jackson neue Wähler zu mobilisieren in der Lage ist. Eine Präsidentschaftswahl, so lautet zu Jacksons Nachteil die Regel, muß in jedem einzelnen Bundesstaat gewonnen werden, um dessen Wahlmänner zu erhalten. Das Weiße Haus zurückerobern, so die Erfahrung der Mondale-kampagne vor vier Jahren, kann man nicht mit der Hilfe übers ganze Land verstreuter Wählergruppen, sondern nur, wenn man die regionalen politischen Besonderheiten berücksichtigt. Bentsen aber kann Dukakis in mehreren großen Südstaaten, vor allem in Texas, über die 50-Prozent-Marke hieven. Was auf der Strecke geblieben ist und Dukakis viele Sympathien im liberalen Lager kosten wird, ist die Glaubwürdigkeit seines politischen Programms. Dukakis hat sich gegen Reaganomics, gegen Contra-Hilfe, gegen die Todesstrafe und gegen nutzlose, aber teure Rüstungsprogramme wie den B 1-Bomber und die MX-Interkontinentalrakete ausgesprochen, Bentsen hingegen befürwortet jeden Punkt dieser Liste.

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