: Werder-Sieg für Ohrenzeugen
■ Wie der Bundesliga-Auftakt über die Wand des Weserstadions schallt / Stille, Spannung, jäh abgehackte Ohhs und ein furioses Finale aus zehntausend Kehlen
Knapp muß es gewesen sein, aber am Schluß ist es gerade nochmal gut gegangen. Den verschwitzten Gesichtern unter den grün-weißen Werder-Mützen war die späte Erlösung nach einem anstrengenden Samstag nachmittag deutlich abzulesen. Doch schon auf der Höhe des Osterdeichs zeigten die Bremer Mienen die übliche „mal-wieder-ein-Heimspiel-gewonnen-Miene“ - kaum Überschwang, viel Siegesgewißheit,
mittlerer Alkohol-Pegel. Es muß das erste Spiel der neuen Saison gewesen sein, Gegner waren nämlich schon wieder die blau-weißen Nordlichter vom HSV. Woher ich das alles weiß? Ich war am Samstag im Stadion-Bad.
Vor ungefähr drei Wochen, als einen das Wetter zum letzten Mal in Badelaune brachte, war ich dort Ohren-Zeuge des Sound -Checks für ein Bruce Springsteen Konzert. Und so wie damals der E-Baß das Wasser im Becken kräuselte, so schwappte am Samstag das akkustische Abbild des Balltretens auf dem Werder-Rasen über die Stadion-Wand. Um halb vier muß es losgegangen sein, denn um viertel nach wurde es plötzlich ruhig und hinter den weit offenen Fenstern der Stadion -Kneipe wurde es voll. Die erste Halbzeit muß für die einheimische Mannschaft ziemlich unvorteilhaft verlaufen sein, denn die Werder-Fans leerten ihre Becks-Bier-Flaschen vornehmlich alleine und hastig, den Blick starr gegen die Decke gerichtet, von der ausgelassenen Bierseeligkeit einer zwei-zu-null-Führung keine Spur.
Auch akkustisch hatte die erste dreiviertel Stunde nicht viel zu bieten. Ein paar kollektive Stöhner, vereinzelte Pfiffe und Trö
ten-Signale, kaum Werder Anfeuerung, ab und zu sogar schwach im Wind einige HSV-Rufe. Das änderte sich um halb fünf entschieden. Auch der vom Schwimmer-Becken her im Blickfeld liegende Ausschnitt von einem halben Dutzend Zuschauern im hintersten linken Winkel der neuen Westkurve zeigt Bewegung. Hochgerissene Arme, gereckte Köpfe, eine geschwenkte Fahne, das ganze untermalt vom aufwallenden Ton tausender Kehlen, die innerem Druck Luft verschaffen. Gellende Pfiffe markierten jetzt jedes einzelne der immer häufiger getretenen Fouls, nervöses dissonantes Tröten demonstrierte steigende Anspannung. Doch der Ball wollte nicht ins Netz, lautmalerisch ins Schwimmbad übermittelt durch ein kollektiv aufgedrehtes Ohh, das jäh abreißt.
Doch dann, eine viertel Stunde vor Schluß muß es gewesen sein, riß das Ohh nicht ab, sondern ging in den hallenden Jubel über, der sich nur langsam auflöst und erst verstummt, wenn der Ball am Mittelkreis wieder getreten wird. Daß das Leder in Hamburgs Kasten gelandet war, daran war kein Zweifel. Wie anders klingt der zerfetzte Klageton, den zehntausend enttäuschte Werder-Fans er
zeugen.
Ist aber erstmal ein Tor auf der richtigen Seite gefallen, lärmt es schon los, wenn der Ball gerade erste die Mittellinie passiert hat. Der Stimmen-Sturm bildet dann nicht mehr das Spielfeld-Geschehen ab, sondern treibt die Stürmer voran. Und die versuchen, die Klangkulisse zu rechtfertigen, knallen den Ball Richtung Tor und bringen das Stadion ins Vibrieren, wenn er ein paar Meter daran vorbei ins Publikum fliegt. Einmal noch muß er am Samstag allerdings getroffen haben. Wenige Minuten vor Schluß war es, und es muß das entscheidende Tor gewesen sein, denn der hallende Jubel steigerte sich ins furiose Finale des Siegestreffers.
Die akkustische Teilnahme am Werder-Spiel ist deutlich preiswerter als die optische: Erwachsene zahlen im Stadion -Bad zwei Mark, Kinder die Hälfte. A propos Eintritt: Das erste Spiel der neuen Bundesliga-Saison war eine finanzielle Panne, das Stadion mit neuer Tribüne längst nicht ausverkauft. Woher ich das weiß? Schließlich konnte ich mein Fahrrad direkt vor dem Eingang zum Stadion-Bad parken, und auf dem Nachhauseweg war der Stau schon in Höhe Sielwall zu Ende.
Ase
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen