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Der Mann mit dem schwarzen Handschuh

Besuch bei Tommie Smith, dem olympischen Black Power-Demonstranten von 1968  ■  Von Tony Reseck

Erinnern wir uns an jenes Foto vom Siegespodest der Olympischen Sommerspiele 1968 in Mexiko-Stadt: Auf dem obersten Treppchen ein Mann - barfüßig, mit Baskenmütze, den Blick fest zur Erde gerichtet, die geballte Faust in einem schwarzen Handschuh emporgereckt. Hinter ihm ein anderer schwarzer Athlet, dieselben Geste. Der Mann auf der obersten Stufe, schlank und muskulös, ist Tommie „Jet“ Smith, Weltrekordhalter im 200-Meter-Lauf und Sieger im olympischen Finale, einer der größten Athleten der letzten 25 Jahre.

Die erste Begegnung findet im Santa Monica College statt, wo Smith Sport unterrichtet. Tommie plaudert frei von der Leber weg, nicht nur über Sport. Er erzählt von seiner harten Kindheit in Texas: „Wir waren zwölf Geschwister, mein Vater arbeitete auf den Feldern. Als ich neun war, nahmen wir einen jener Arbeiterbusse, die Erntehelfer nach Kalifornien brachten, und fuhren ins San Joaquin Valley, das Herz der kalifornischen Landwirtschaft.“

Black Power

Danach Schule, schließlich Eintritt in die Universität von San Jose, in der Nähe von San Francisco. Dort spielt er nicht nur Basketball und beginnt, ernsthaft zu laufen, sondern trifft auch Harry Edwards, den Diskuswerfer und politischen Aktivisten, der eine wichtige Rolle bei der Bewußtseinsbildung der schwarzen Athleten spielte, die in dem Protest von Mexiko gipfelte.

In San Jose ist auch John Carlos, der andere Mann mit der geballten Faust auf dem Foto. Tommie Smith engagiert sich, hört zu. Und er läuft, immer schneller, bis zum Weltrekord über 200 Meter.

Als die Olympischen Spiele näherrücken, treffen sich die schwarzen Athleten des US-Teams zum ersten Mal in Denver. Sie diskutieren den Boykott der Spiele, den Harry Edwards vorschlägt, der aber nicht zustande kommt. Einige Monate später in Mexiko-Stadt findet aber jener Protest statt, und es ist die Stimme von Tommie Smith, die am meisten Gehör und Beachtung findet.

„Ich erinnere mich an die Atmosphäre jener Tage im Sommer, unseren Willen zu diskutieren, zu verstehen. Ich erinnere mich, daß wir einen Rundgang mit mexikanischen Studenten durch die Stadt und die Universität machten und zu verstehen suchten, was geschehen war: der Studentenprotest, die Schlachten mit der Polizei, die Toten. Wir waren eine Gruppe von schwarzen Athleten, und wir waren uns einig, daß wir etwas tun mußten; und daß wir es tun mußten im Namen der amerikanischen Verfassung, die in unserem eigenen Land nicht respektiert wurde, und im Namen der Menschenrechte der Schwarzen und anderer Minderheiten.

Die Entscheidung über die Art des Protestes wurde jedoch individuell getroffen. Carlos und ich einigten uns vor dem Finale über 200 Meter, von dem ich sicher war, daß ich es gewinnen würde. Meine Frau ging los, um dieses eine Paar schwarzer Handschuhe zu kaufen, das wir uns teilten, bevor wir auf das Siegespodest stiegen. Deshalb trägt Carlos den Handschuh links, und ich trage ihn rechts, wie man auf der Fotografie erkennen kann.“

Diese Fotografie bedeutete eine Wende im Leben von Tommie Smith. „Carlos und ich wurden sofort aus dem Team ausgeschlossen und mußten das Olympische Dorf verlassen. Es war unser letzter Wettkampf. Ich war gebrandmarkt. Die Leute wandten sich sofort von mir ab, und alles was ich sagte oder tat, wurde nun als gefährlich, widersetzlich oder gegen irgendjemand gerichtet angesehen. Ich glaube, es war wenig später, als ich auf der Laufbahn der Schule wegen illegalen Waffenbesitzes festgenommen wurde. In Wirklichkeit trug ich eine Starterpistole bei mir.“

Nach Mexiko spielte er zwei Jahre als Football-Profi bei den Cincinnati Bengals, dann wurde er Lehrer am Aberdeen College in Ohio, kehrte später nach Kalifornien zurück.

Bedauern? „Sicher nicht über das, was ich in Mexiko-Stadt gemacht habe. Es war kein Verbrechen und keine Sünde, und es hat eine Menge Dinge ermöglicht, die später in und außerhalb der Welt des Sports passiert sind.“

Aber wie hat sich diese Welt verändert?

„Ich weiß nicht, ob zum Guten oder zum Schlechten. Ich glaube, daß die Athleten, vor allem die schwarzen, mehr Würde und Bewußtsein über das, was sie tun, haben.“ Ein Unterschied ist auch das ständige Eingreifen der Ärzte und der Wissenschaft generell in den Sport. Tommie erzählt lächelnd, daß er just am Tag vor seinem Weltrekord über 200 Meter die größte Hot-Dog-Mahlzeit seines Lebens zu sich genommen habe. Ein unvorstellbarer Frevel für die superkontrollierten Athleten von heute.

Aber obwohl die Athleten der Achtziger, oder zumindest einige von ihnen, sozial und menschlich so verschieden sind von den Männern auf dem Podest in Mexiko-Stadt, haben sie deren Geste nicht vergessen. Im Büro des Sportlehrers am „Santa Monica College“ hängt das Foto nicht. Dort gibt es ein anderes, von Edwin Moses, einem der größten Athleten des letzten Jahrzehnts, mit einer Widmung: „Für Tommie Smith, einen amerikanischen Helden“.

Gekürzter Artikel aus 'Il Manifesto‘ (Übers.: Matti)

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