OSTBERLIN: Lutz Rathenow "Harald Hauswald: Berlin-Ost. Die andere Seite der Stadt"

Lutz Rathenow ist ein bei uns bekannter, in Ostberlin lebender Schriftsteller. Harald Hauswald lebt dort als Fotograf. Beide haben ein Buch über ihre Stadt gemacht. Der Verlag hat, um unserem Vorurteil von der Ost-Tristesse, das Hauswald mit seinen Fotos nährt, entgegenzukommen, das Buch auf grauem Papier gedruckt. Als wärs ein Stück von drüben. Hauswalds Ansichten zeigen den Alltag, der überall trübe ist: ein Rentner mit Stock und Einkaufsbeutel auf dem leeren Platz vor dem Funkturm, die verfallene Front der Gaststätte am Wasserturm, Punks im Profil, Punks en face, Rentnerinnen auf der Bank, Kinder in der Wüste zwischen den Hochhäusern. Nichts wie weg, denkt jeder, der diese Bilder sieht. Rathenows Text bietet da keine Gegenargumente. „Jener noch nicht so alte Mann, dem du zunickst. Der dich anspricht. Er schwimmt durch den Tag. Ein Leben, eingelegt in Schnaps.“ Trübtassig auch das. Dabei so schön melancholisch. Man fängt an, sich darin zu suhlen, bis einem vor einem selber graut. Bei soviel Gefühligkeit bin ich dankbar für das wenige Sachhaltige. Ich wußte nicht, daß es in der DDR ganz offiziell den Straftatbestand „öffentliche Herabwürdigung gesellschaftlicher Institutionen“ gibt. Man kann dafür drei Jahre ins Gefängnis kommen, würdigt man gar im Ausland herab, gibts fünf Jahre und gerät man an einen ganz verbiesterten Richter, so erkennt der womöglich auf „staatsfeindliche Hetze“ und dann sitzt man acht Jahre, tat man es planmäßig, so sind es zehn Jahre. Davon hätte ich gern mehr erfahren.

Lutz Rathenow, Harald Hauswald: Berlin-Ost. Die andere Seite einer Stadt, Harenberg Edition, 176 Seiten mit zahlreichen s/w Fotos, 24,80 DM