: Der Fall des Bernbeck-Patienten Rainer Janke
■ Der ehemalige Postbeamte Janke ist Nebenkläger im Hamburger Kunstfehler-Prozeß / Der Orthopädieprofessor Bernbeck machte Janke zum arbeitsunfähigen Krüppel / Unnötig riskante Operation ohne Wissen des Patienten
Unter den vier im Bernbeck-Prozeß verhandelten Fällen gilt Rainer Janke als der Hauptgeschädigte. Das Gericht ließ den ehemaligen Postbeamten (den die Hamburger Gesundheitsbehörde zusammen mit der Allianz-Versicherung inzwischen mit 1,4 Millionen Mark „entschädigte“) als Nebenkläger zu.
Im November 1979 konsultiert der damals 29jährige Janke den Chef der Orthopädie des Allgemeinen Krankenhauses Barmbek. Er will seine O-Beine durch eine Operation begradigen lassen. Ein Eingriff, der kurz zuvor bei seinem Vetter komplikationslos verlaufen ist. In der Verhandlung sagt Janke aus, beim Schwimmen gelegentlich Schmerzen im Knie gespürt zu haben. Er gibt aber auch zu Protokoll, daß der „kosmetische Nebeneffekt“ für seinen Wunsch eine Rolle gespielt habe. Bernbeck diagnostiziert beidseitige O-Beine mit gleichzeitiger Innendrehung und setzt sofort den OP -Termin fest.
Aufgrund seiner Doppel-Diagnose entschließt sich Bernbeck zu einer extrem seltenen Operationstechnik. Über deren besondere Risiken wird der Patient nicht informiert, weder von Bernbeck selbst noch von einer frisch auf der Station eingetroffenen jungen Ärztin, die das „Aufklärungsgespräch“ vor der Operation führt. Erst am Morgen der Operation, als er schon von der ersten Spritze benebelt ist, unterschreibt Janke die Einverständniserklärung.
Der Arzt mit dem Spitznamen „flinkes Messer“ durchtrennt zunächst das rechte Schienbein mit einem 17 Zentimeter langen Schrägschnitt in der Mitte des Schaftes (wo der Knochen am schlechtesten heilt), dreht das abgesägte Ende nach außen und flickt den entstandenen Knochenspalt mit einem Stückchen Fremdspan. Drei Wochen später erfolgt die Operation am linken Bein in gleicher Weise. Dazu später der leitende Arzt der Hamburger Endo-Klinik, Dr. Engelbrecht: „Ich hatte solchen Schnitt noch nie gesehen, wenigstens nicht aus einer solchen Indikationsstellung heraus höchstens bei Unfällen.“
Rund eine Woche nach der zweiten Operation - zu Jankes Pech ist gerade Weihnachten - zeigen sich bei dem Patienten typische Symptome einer Infektion: Fieber und eine drastisch erhöhte Leukozytenzahl. In den folgenden Wochen und Monaten verschlechtert sich Jankes Zustand, die Beine schmerzen, durch den offenen Wundkanal links kann man direkt in die Markröhre blicken. Jankes Zimmernachbar bemerkt als erster den faulig-süßlichen Geruch, der ihm aus Jankes Bettdecke in die Nase steigt. Allein der Chef scheint nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen, was für die ihm untergebenen Ärzte längst Gewißheit ist: Der Patient leidet an einer tieferen Wundinfektion. Notwendige Nachoperationen und Antibiotikagaben unterbleiben. Als Janke bemerkt, daß seine Fußspitzen unnatürlich nach außen zeigen („wie bei Charly Chaplin“), tröstet ihn der Professor: „Das ist der Gang des Nordeuropäers.“ Auch als Bernbeck ins Ausland reist, traut sich keiner der Kollegen an den Chef-Patienten ran. Und so wird es Ende März, bis Janke auf Anweisung Bernbecks das erste Mal Antibiotika erhält. Doch da ist die gefürchtete Knochenentzündung bereits chronisch geworden und hat das zweite Bein erfaßt.
Ende Mai 1980 läßt sich der entnervte Patient fluchtartig und unter heimlicher Mithilfe des Stationsarztes in die Endo -Klinik Wintermoor verlegen, wo die Ärzte seinen Zustand beschreiben „wie nach einer Unterschenkel-Trümmerfraktur“. Jankes nun folgende Leidensgeschichte in Stichworten: Rund 15 Nachoperationen muß er in Wintermoor erdulden, wo er bis Weihnachten 1982 bleibt - neun Monate davon stramm im Bett. Im März 1983 wird der an den Rollstuhl gefesselte Ex-Postler in den Ruhestand versetzt. Weitere chirurgische Eingriffe folgen in einer dritten Klinik. Jankes Ehe geht in die Brüche. Zu Prozeßbeginn im Mai 1988 - fast neun Jahre nach seiner ersten Operation - kann der Nebenkläger den Saal immerhin mit Gehapparaten betreten, doch die Unterschenkelknochen sind noch immer nicht stabil, ein Ende der Operationsserie ist nicht abzusehen.
Das Plädoyer des Anklägers muß Janke dann doch verpassen, weil er einen Tag zuvor über seine Gehapparate gestolpert ist und sich erneut ein Schienbein gebrochen hat. Als er am Tag des Verteidiger-Plädoyers im frischen Gipsbein in den Gerichtssaal humpelt, raunt jemand von dort, wo der Bernbeck -Clan auf der Zuschauerbank zusammengluckt: „Heute kommt er extra mit Krücken.“
Gabi Haas
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen