Ein Film über Frauen im Knast

■ Die heutige „Klartext„-Reportage führt ins Frauengefängnis Hoheneck / Die Redakteure befragen drei ehemalige Insassen, sprechen mit Strafgefangenen, Erzieherinnen und Wachtmeisterinnen

Corinna Weber, eine der drei in „Klartext“ befragten ehemaligen Insassen Hohenecks, stellte uns den folgenden von ihrer Mutter geschriebenen Text zur Verfügung. Er wurde in der Zeitschrift der Stiftung „Parität“, einer unabhängigen internationalen Menschenrechtsorganisation in Utrecht veröffentlicht (Nr. 2 / '89).

„1937 wurde ich, Henny Weber, in Tilburg/Niederlande geboren. Seit 1941 wohnte ich in Deutschland, der jetzigen DDR. Ich habe drei Kinder: Walburga, geb. 1959; Marco, geb. 1966; Corinna, geb. 1968. Marco und Corinna erhielten 1986 von der NL-Botschaft (NL Niederlande - d. Red.) Berlin/Ost neben ihrer DDR-Nationalität die der Niederlande. Trotzdem durften beide nie in die Niederlande reisen, ich wohl. Durch den Erwerb der NL Nationalität ergaben sich für beide erhebliche Schwierigkeiten in beruflicher und privater Hinsicht. Diese sowie die in der DDR herrschende Unfreiheit, Resignation in Bezug auf die Möglichkeiten der Veränderung des Systems in der DDR führten bei beiden zu dem Entschluß, die DDR zu verlassen.

Von der Ungarischen Botschaft in Berlin/Ost erhielten sie in ihrem Niederländischen Reisepaß ein Transitvisum zur Reise in die NL über Ungarn - Österreich. Am 4. 10. 1988 fuhren sie nach Budapest. Am 5. 10. 1988 wurden sie im Schnellzug von Budapest nach Wien wegen versuchten illegalen Grenzübertritts durch ungarische Beamte festgenommen. Sie wurden sofort voneinander getrennt, es folgten Leibesvisitationen häßlichster Art, ihre Sachen wurden durchwühlt und die Gültigkeit ihrer Reisepässe abgeleugnet.

Ihre Bitte, die NL-Botschaft in Budapest zu informieren, wurde unter Androhung von Schlägen abgelehnt. Verhöre zogen sich bis in die Morgenstunden des nächsten Tages hin. Drei Wochen waren Marco und Corinna unter den denkbar schlechtesten Bedingungen in Ungarn inhaftiert.

Dann wurde ihnen mitgeteilt, daß sie nach ungarischem Recht keine strafbare Handlung begangen haben, und sie wurden am 26. 10. 1988 vom Ministerium des Inneren in Ungarn an Staatssicherheitsbeamte der DDR ausgeliefert. Bei der Übernahme wurde durch den Staatssicherheitsdienst gesagt, daß bei einem Fluchtversuch von der Schußwaffe Gebrauch gemacht wird.

Sie wurden von Budapest nach Berlin geflogen. Sie waren in Handschellen und hatten je einen Bewacher. Nach erneuter Leibesvisitation wurden sie mit dem Auto nach Magdeburg in Untersuchungshaft des Ministeriums für Staatssicherheit gebracht. In Magdeburg wieder Leibesvisitation und Verhöre bis 4 Uhr morgens. Forderungen von Corinna, die NL Botschaft sprechen zu dürfen, wurden ins Lächerliche gezogen und abgelehnt.

Am 27. 10. 1988 wurde Haftbefehl erlassen. Am 11. 11. 1988 kam Rechtsanwalt Schumann aus Magdeburg in Untervollmacht des Prof. Dr. Vogel aus Berlin in die Untersuchungshaft als Verteidiger zu einem Gespräch von 10 Minuten Dauer. Bis zur Verhandlung am 13. 1. 1989 erfolgte noch ein Besuch von gleicher Länge. Diese Gespräche wurden abgehört. Der Rechtsanwalt legte meinen Kindern nahe, vor Gericht die Tat zu bereuen. Dieses taten sie nicht.

Die Verhandlung war geheim, sie fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt, auch Familienangehörige waren nicht zugelassen. Nach Ansicht meiner Kinder war diese Verhandlung eine einzige Farce, das Urteil stand schon vorher fest, und Rechtsanwalt Schumann war bei der Urteilsverkündung schon nicht mehr anwesend.

Der Staatsanwalt beantragte für meine Tochter 2 Jahre und 6 Monate, für meinen Sohn 2 Jahre und 4 Monate Freiheitsentzug. Rechtsanwalt Schumann beantragte eine Haft unter 2 Jahren, das Urteil des Richters war gleichlautend wie der Antrag des Staatsanwaltes. Sie wurden wegen gemeinschaftlicher Vorbereitung, Corinna außerdem in einem Fall wegen alleiniger Vorbereitung zum ungesetzlichen Grenzübertritt im schweren Fall in der Alternative der ungesetzlichen Nichtrückkehr (Corinna hatte einen Antrag mehr als Marco auf Genehmigung einer Besuchsreise gestellt) gemäß Paragraph 213 (2), (3), 4, 5 (4), 63, 64 StGB verurteilt. Die Vorbereitungshandlung wurde als Vergehen, der Versuch als Verbrechen gewertet.

Am 16. 1. 1989 wurde meiner Tochter erstmalig seit der Verhaftung in Ungarn ein Gespräch mit ihrem Bruder im Beisein von zwei Staatssicherheitsbeamten für 30 Minuten gestattet. Am 18. 1. 1989 kam Rechtsanwalt Schumann, frage beide, ob sie in Berufung gehen wollten, dies lehnten sie beide ab, da Rechtsanwalt Schumann die Strafhöhe für normal hielt. Am 23. 1. 1989 mußten meine Kinder unterschreiben, daß ihre NL Reisepässe von der Botschaft abgefordert wurden.

Am 24. 1. 1989 kam mein Sohn in Transporthaft nach Magdeburg-Sudenburg. Am 7. 2. 1989 wurde er in die Strafvollzugseinrichtung Brandenburg transportiert. Transportdauer 9 Stunden im Gefängniswaggon der Reichsbahn. Brandenburg ist eine Einrichtung für vorwiegend Langstrafer, das heißt Straftäter für Raub, Raubmord, Mord und Sexualverbrechen. In seiner Zelle waren noch 7 Inhaftierte, und er war der einzige Politische.

Am 24. 2. 1989 kam Corinna in Transporthaft und am 8. 3. 1989 wurde auch sie im Gefängniswaggon nach Hoheneck transportiert. Transportdauer: 24 Stunden. Diese verbrachte sie in einem Waggon, der in Zellen von 1 x 1 Meter aufgeteilt war. Sie teilte die Zelle mit drei weiteren Frauen. Vom Bahnhof in Karl-Marx-Stadt wurde sie in Handschellen an zwei kriminelle Frauen gekettet und unter Bewachung von 10 (!) Polizisten mit zwei Rottweiler-Hunden abgeführt. Durch unterirdische Gänge kamen sie zu einem Gefängniswagen, der sie dann nach Hoheneck brachte.

Hoheneck - schockierend! Zellen für 10 Personen, Naßteil (6 Waschbecken, 2 Toiletten) für 20 Personen. Politisch Inhaftierte einzeln untergebracht mit Kriminellen, größtenteils Kindermörderinnen. Diverse Verlegungsanträge und Auseinandersetzungen mit Wachpersonal brachten meine Tochter die Verlegung in eine Zelle, in der sich noch eine Politische befand. In der Zeit in Hoheneck wurde einmal wöhentlich in den Zellen Razzia gehalten, einmal erlebte sie ein Rollkommando (durch Polizistinnen wird die Zelle verwüstet, persönliche Dinge wie Fotos, vernchtet).

Gearbeitet wird in Leistung im Drei-Schicht-System. Die Norm ist weitaus höher als die in vergleichbaren Betrieben draußen. Wer die Norm schafft, erhält 80 - 90 Mark Gefängnisgeld. Besuch: Alle zwei Monate für eine Stunde unter Aufsicht. Es war verboten, über die Straftat, den Strafvollzug und Mitgefangene zu sprechen. Post: Schreiben dreimal im Monat an festgesetzten Tagen und nur an genehmigte Schreibadressen (zwei Stück), empfangen werden konnte nur Post von diesen genehmigten Schreibadressen.

Am 30. 5. 1989 wurde meine Tochter aus dem Arrest heraus nach Karl-Marx-Stadt in „Abschiebehaft“ gebracht. Hier traf sie ihren Bruder, der am 29. 5. 1989 dort eingetroffen war. Sie unterschrieben dort einen Ausreiseantrag und einen Antrag für die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR. Am 13. 6. 1989 wurden sie in den Zug Richtung Gießen gesetzt, des Abends um 21.30 Uhr trafen sie dort ein. Sie waren frei.

Aktivitäten für Marco und Corinna. Zum Zeitpunkt der Verhaftung war ich zu Besuch bei meinem Vater in den Niederlanden. Ich wußte von dem Vorhaben meiner Kinder. Als sie bis zum 7. 10. 1988 nicht eintrafen, wendete ich mich an die NL-Botschaft in Wien. Ich wurde an das Außenministerium in Den Haag verwiesen. Am 12. 10. 1988 erteilte mir das Außenministerium den Rat, nicht in die DDR zurückzufahren.

In meiner Verzweiflung fuhr ich am 20. 10. 1988 nach Bonn zum Ministerium für innerdeutsche Beziehungen. Marco und Corinna sind dort nicht als Verhaftete in der DDR registriert. Am 27. 10. 1988 erhalte ich von Rechtsanwalt in Berlin/West die Miteilung, daß sich meine Kinder seit dem 26. 10. 1988 in Magdeburg in Untersuchungshaft befinden.

Am 13. 2. 1989 wende ich mich an Amnesty International. Eine Mitarbeiterin der AI-Gruppe aus Leiden nimmt Verbindung mit mir auf, sie geht auch zum Außenministerium. Am 23. 3. werden Marco und Corinna als Gewissensgefangene adoptiert. Am 8. 3. 1989 informierte eine Freundin von mir die Stiftung Parität. In Absprache mit der Stiftung begann ich mit meiner Freundin am 11. 4. 1989 eine Unterschriftensammlung für eine Petition an die DDR.

Inzwischen (im Mai - d. Red.) erhalte ich von der Bundesregierung die Mitteilung, daß Marco und Corinna Mitte Juni im Aufnahmelager Gießen eintreffen werden. Sie wurden freigekauft.

(Text gekürzt und geringfügig verändert.)