: „Test the West“ in Playback
■ Ein Abgesang zum Groove unterm Neonlicht am 27. Februar in der Werner-Seelenbinder-Halle
Das Ganze ging schon mottomäßig los.
Über's große geschlossene Eingangstor der Werner -Seelenbinder-Halle spannten die Sponsoren-Veranstalter ein rotes Riesentuch: „Test the West“. In die einlaßbegehrende Menge signalisierte dieser Leuchtturm Neuland unterm Westpflug, aber vor allem Rettung vor dem einsetzenden Regen.
Der erste, wichtigste Westtest heißt „Ellenbogen, Ellenbogen, sei vor allem ungezogen.“ Und so geschahs. Das Tor blieb auch noch nach 19 Uhr (Einlaßzeit) zu und kurz vor acht preßten die Ordner die gequetschte Masse tröpfchenweise durch zwei hohle Gassen. Unter Dampf und unter Druck, so wie „the West Way of Live“, geriet auch ich unter die erschöpften Gewinner mit dem verbogenen Musikantenknochen.
Drinnen schries noch lauter, greller: „Test the West“ und so war ich äußerst gespannt auf den Act von Grace Jones. Die Vorband scratchte geschmacklos und aufdringlich wie die DDR -Buletten im Foyer, die wiederum genauso schwer im Magen lagen, wie die beidseitigen Subbässe der Diskomotorik, die aus riesigen Prozessorboxen ballerten. Das machte schließlich mit meiner guten Laune kurzen Prozeß. Aber der Hauptgig kam ja noch. Schließlich hatte ich 30 Mark für eine schweißtreibende, nahezu übersinnliche Grace Jones mit livehaftiger Funk-, Soul- und was weiß ich Band gelöhnt. Beunruhigend stellte ich zwischendurch fest, wie sich mein sogenanntes Outfit entpuppte: Innen mehr hyp und high, von verrückt bis entzückend entrückt, mittendrin oft auch Yuppies und Groupies, wurde meine Erscheinung unter all den herübergekommenen Westberlinern degradiert zu muffligem österlichen Mummenschanz, provinziell und konservativ wirkend. Ich ahnte, der Quiz „Test the West“ näherte sich seiner den Abend entscheidenden Hauptfrage „Wohin habe ich mich heute verirrt?“.
Mittlerweile ging im Saal das Licht an. Die Vormusik prasselte minutenlang explodierende Schlagzeuggrooves und baßhaltige Tiefschläge unter die Gürtellinie. Ich tröstete mich in der Annahme, nun laufe doch der Countdown uund bald wäre unser aller Stunde Null erreicht.
Fast vergaß ich die Quizfrage des Abends, so hyp- und notisiert beobachtete ich zickende und zuckende Oberschüler vor mir.
Gerade noch blieb mir Zeit, das kalte Kaugummikauen des vollzugsbeamten Tonmeisters festzustellen, da gabs den nächsten Tiefschlag: Das Saallicht ging aus...und mir ging ein Licht auf: Das war heut‘ ne Disko! Und nun wurde die Einlage ins Tapedeck geschoben. Von allen guten Mutterseelen alleingelassen, fuchtelte oben auf der Bühne eine Diva im Ledersessel ihres Chefs alle Stellungen des Kamasutra durch. Die Prozession wurde aber, wie bei allen Peep-Shows, nach fünf Minuten langweilig. Grace Jones ließ sich dann zufällig und spontan tänzelnd von zwei beweglichen Jungs begatten, bevor eine langatmige Ansage und ein Chansonverschnitt zwischen Wagners Walküre und dem Spatzenzwitschern einer Edith Piaf endgültig alle Fronten klärte. Ich schaltete meinen, beim Westtest fehl am Platze erscheinenden Kopf aus, zuckelte aus dem Saal und ließ mir entnervt eine Zigarette einführen. Ich rauche eigentlich nicht, doch dieser Westdiskoflair stank mir und da ließ ich mich eben sponsern! Test the West...
Thomas Pilz („Tanzmusiker“)
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