Reichsbahn drückt aufs Tempo

■ Generaldirektor Keddi plädiert für übernahme des Bundesbahnrechts / Rüffel für politische Lippenbekenntnisse / „Was wir brauchen, können wir in der DDR oder für DDR-Mark zur Zeit nicht kriegen“

Berlin (ap) - Die Reichsbahn der DDR will die Rechtsgrundlagen der Bundesbahn in weiten Teilen übernehmen. Generaldirektor Herbert Keddi sagte in Berlin, die rechtliche Grundlage seines Unternehmens reiche für die Marktwirtschaft nicht aus. Außerdem stellte er eine weit engere Zusammenarbeit zwischen Reichs- und Bundesbahn in Aussicht. „Ich könnte mir vorstellen, daß es da bald einen gemeinsamen Vorstand gibt, aber wir (Bundes- und Reichsbahn) brauchen dazu grünes Licht von der Politik.“ Und politisch passiert nach Keddis Einschätzung viel zu wenig. Den Bekenntnissen zu einer deutsch-deutschen Verkehrsunion seien bisher kaum Taten gefolgt, zeigte sich der Reichsbahnchef stark enttäuscht. Keddi verlangte außerdem schnellere Grenzkontrollen, um die Fahrzeiten der Züge konkurrenzfähig zu machen.

Der Reichsbahndirektor sagte außerdem, die Zusammenarbeit zwischen den deutschen Bahnunternehmen zeige sich bereits bei den ersten grenzüberschreitenden Intercity- und Interregio-Zügen, die mit Beginn des Sommerfahrplans am 27.Mai zwischen den beiden deutschen Staaten verkehren sollen. Die Öffnung weiterer Grenzübergänge gehöre ebenso dazu wie ein Zug des kombinierten Ladungsverkehrs, der im Herbst mit Lastwagen als „rollende Landstraße“ oder als „Huckepackzug“ mit Lastwagen-Wechselbehältern zwischen dem Raum Leipzig und dem Ruhrgebiet verkehren soll.

Ein Intercityzugpaar zwischen Frankfurt und Leipzig soll dazu animieren, statt dem Auto oder Flugzeug mit dem Zug in die DDR zu reisen. „Wir schaffen das in vier Stunden“, verspricht der Reichsbahn-Generaldirektor. Voraussetzung sei, daß die Grenzkontrollen im fahrenden Zug stattfänden. Zunächst werde ein Morgenzug nach Leipzig fahren und ein Abendzug nach Frankfurt.

Schon Anfang März treffen sich in Dresden Reichs- und Bundesbahner, um die Rechtsformen der beiden Bahnen einander anzugleichen. Das läuft nach Keddis Ansicht im wesentlichen auf eine Übernahme der westdeutschen Rechtswerke hinaus. Danach können Reichsbahn-Zug- und Lokführer auch im Bundesgebiet arbeiten und umgekehrt. Lokomotiven und Personal müssen nicht mehr am Grenzbahnhof gewechselt werden.

Die D-Mark ist der wichtigste Posten auf Keddis Wunschzettel. „Was wir brauchen, können wir in der DDR oder für DDR-Mark zur Zeit nicht kriegen.“ Zwar produziere die eigene Waggonindustrie jährlich rund 1.000 Anhänger, die müßten aber aufgrund vertraglicher Verpflichtungen an die Sowjetunion oder andere Staaten geliefert werden. „Die 500 Schnellzugwagen oder die modernen Stellwerke, die ich brauche, um den stärker gewordenen Personenverkehr seit Öffnung der Grenzen zu bewältigen, kriege ich eben leichter im Westen. Aber als staatliches Unternehmen darf ich auf dem Kapitalmarkt keine Kredite aufnehmen.“

Dabei hätte Keddi das Klotzen nötig: Sein Unternehmen hat im Transportwesen seines Landes einen Marktanteil von 75 Prozent. Es hat 252.000 Beschäftigte und befördert jeden Tag 850.000 Tonnen Güter sowie rund 1,8 Millionen Menschen auf einem Netz von etwa 14.200 Kilometern. Je 7.000 Personen und Güterzüge seien das täglich: „Das entspricht dem Aufkommen der Deutschen Bundesbahn, und das auf einem Netz, das ein Drittel so groß ist.“

Im Streit um einen neuen Großflughafen plädierte Keddi statt des von Lufthansa und Interflug befürworteten Großflughafens bei Bohnsdorf, südlich von Berlin, für einen zentralen Flughafen auf einem Truppenübungsplatz der Sowjetarmee, südlich von Jüterbog. Dieser Flughafen solle mit den etwa gleich weit entfernten Großstädten Dresden, Leipzig und Berlin durch ein Schnellbahnnetz verbunden werden. Es sei angesichts der Größe der DDR unrealistisch, von je einem Großflughafen bei Berlin und einem im sächsischen Ballungsraum auszugehen.