Welt-Premiere für Vostell

■ Eine Weltpremiere, DDR-Premiere sowieso: Der Westberliner Maler Wolf Vostell stellt sein Gemälde „9. November 1989-Berlin“ vor. Galerie am Weidendamm, noch bis 25. März.

Herausforderer, Provozierer, Enthüller. Schon sein in Beton eingegossener Kadillac „Ruhender Verkehr“ trieb bei den der Idylle zugeneigten Westberliner Bürgern den Adrenalinspiegel hoch, stand dahinter doch die Behauptung, die Lebensraüme in der überreichen Gesellschaft seien verbaut, verkrustet, die Menschen selbst gar schon fast Beton... Vostell hatte Nachahmer: Spaßvögel stellten seinem Zivilisationsmonument einen in Beton eingegossenen Trabi vis a vis. Der Trabi mußte wieder weg. Vostells Plastik blieb, an einem Künstler wie ihn kommen auch harmonisierungswütige Kulturpolitiker nicht vorbei.

Nun gibt es also dieses neue Bild von ihm, daneben auch interessante Studien zum Werk, auf keiner fehlt der Mauerpickel.

Wieder folgt Vostell ganz seinen Prinzipien: Er de -collagiert, zerstört Verhülltes, legt Schichten frei, entdeckt so Deformationen. Und er betoniert, weist auf starre Lebensräume, Formen, auf zu Blei geronnene Abgase, zu Teer verdicktes Blut, auf manipulierte Körper, Menschen, fremdbestimmt. Das Gemälde ist reliefhaft, er arbeitete monocrom, mit Blei, Lack, Spray, Acrylfarbe, Beton auf Leinwand, ein Bild vom bröckelnden, brechenden Mythos. In der Nacht des Mauer-Falls war Vostell nicht in Berlin, sondern in Spanien, TV-vermittelt erlebte er die Sensation. Wenige Tage später, zurückgekehrt, begann er wie besessen zu arbeiten. Aber nicht die Euphorie der Massen beschäftigte ihn am meisten, sondern das Darunter, Dahinterliegende. Das Kommende. Deshalb diese schemenhaften, erneut deformierten Menschengestalten, deshalb die TV-Augen hinter Mauerdurchbrüchen. Voyeure, kaltäugig, bizarre Geräusche verursachend. Vostells Bild hat eine aufreizende, aber schmerzhafte Ambivalenz. Das Betonmonster, das schmerz- und blutbesudelte, bröckelt, aber die alten Widersprüche und Vorurteile sind da, neue reißen auf. Konflikte. Alte und neue Absurditäten der Realität. Nein, sagt Vostell, er habe Surreales gar nicht nötig, die Wirklichkeit hat die Visionen eingeholt. Und dennoch habe er eine Vision: Daß die Menschen ihre Freiheit richtig nutzen. Das Wohin und das Wie und Warum...

Er hat 200 Siebdrucke mitgebracht, den Erlös dafür schenkt der Künstler der neuen Stiftung Kunstforum Deutscher Dom Berlin.

Ingeborg Ruthe