Wort zum Sonntag

Ein kleiner Abgesang  ■ K O M M E N T A R

Macht mal ruhig. Das magische Datum ist ja erst morgen (einmal werden wir noch wach, heißa...), aber entschieden ist doch sowieso schon alles. Da könnt ihr wählen was ihr wollt. Oder wen ihr wollt (ganz wie ihr wollt). Ab morgen abend, spätestens aber Montag früh ist es erreicht, das große Ziel:

Endlich, endlich sind wir Deutschlandeinigüberallessozialmarktwirtschaftlichökologisch vaterland. Oder so ähnlich. Da haben wir es dann geschafft. Ab Dienstag werden die Koalitionsverhandlungen losgehen, und wenn es soweit ist, daß sich die Parteien den neuen Regierungschef und die Ministerposten ausgekungelt haben, dann wird das Fernsehen live und original übertragen, wie der Premier und die Minister auf die Verfassung schwören. Die sie dann abschaffen werden.

Nun gafft nicht so, ist ja erst Sonnabend heute. Und überhaupt: Ich bin euch nicht sauer, nein, nein. Was hättet ihr auch tun sollen? Bei diesem Haufen von Parteien, die doch alle nur euer Bestes wollen. Und alle die absolute Mitte darstellen. So eine breite Mitte hatten wir noch nie überall Mitte und nüscht drumrum! Schon daran kann man erkennen, wie weit wir runtergekommen sind. Früher hatten wir stets eine breite Spitze - heute bloß noch eine breite Mitte. Zu einer breiten Basis hat es ja in diesem Lande eh nie gereicht. Da war die Mittelmäßigkeit wohl doch zu groß. Macht nichts, dafür werden wir jetzt das große Reich der Mitte. Ist doch auch was. Da sind wir endlich wieder wer. Jahrelang als Ossi durch die Gegend rennen - das hält doch keiner auf die Dauer aus. Nicht mal ein Ossi, nicht wahr, Landsleute? Aber das ist ja nun vorbei - endgültig!

Dabei sah das damals gar nicht so verlockend aus - damals, als diese linken Spinner auf die Straße rannten und unbeeindruckt von Gummiknüppeln und so'n Zeugs „Demokratie, Demokratie!“ grölten.

Nicht, daß man etwa irgendwelche Sympathien für Honecker und seine SED hegte - ganz im Gegenteil! Ich erinnere mich noch genau, wie die Leute in der „Stumpfen Ecke“ - so nach dem sechsten, siebenten Bier - nachgerade rebellisch wurden, wenn es um den Staat ging, jaja. Und später, als das Demonstrieren mangels Polizei, Schlagstöcke und Wasserwerfer nicht mehr so ungemütlich war, da sah ich sie auch alle, alle wutentbrannt durch die Straßen ziehen. Und als die Partei dann endlich entmachtet war, riefen sie mutig: „Nieder mit der SED!“ Manche rufen es gar heute noch!

Doch ich schweife ab. Die Regierung war gestürzt, und plötzlich meinten doch da diese intellektuellen Querköpfe, es wäre an der Zeit, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Man stelle sie das mal vor: Selbst - so ganz ohne jegliche Obrigkeit! Das konnte doch nichts werden! Nee, nee; da war es man bloß ein Glück, daß die SED, bevor sie ganz den Bach runter ging, schnell noch die Grenzen aufriß. Böse Zungen behaupteten zwar, das wäre Schabowskis letzte Rache gewesen, aber das ist natürlich Quatsch.

Das haben wir erzwungen, jawoll! Und schon hatte man doch wieder was, woran man sich orientieren konnte. Endlich war die einen ganzen Monat lang anhaltende Gefahr beseitigt, daß man selbst die Karre aus dem Dreck ziehen müßte. Da kamen sie ja dann auch gleich an, die Brüder - äh - die Brüder und Schwestern, meine ich natürlich. Man hatte sie nicht mal gerufen und schon kamen sie, um uns hilfreich unter die Arme zu greifen. Da brauchten wir nicht mal mehr eigene Politiker, daß machten die von drüben fast alles alleine. Weil wir selbst dazu doch eh nicht in der Lage sind. Und nun haben wir uns. Und egal, was wir morgen wählen, Kohl und Vogel kriegen wir sowieso. Und die D-Mark, die kriegen wir auch. Und sei es als Sozialhilfe.

Ach ja, macht mal ruhig. Und schlaft schön.

Bis morgen.

Olaf Kampmann