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Schlichter Gorbatschow?

■ Kongreß stellt sich gegen Litauen / Gorbatschow soll „Sicherheit“ gewährleisten / Großkundgebungen in Vilnius geplant / KPdSU berät neues Statut

Berlin (adn/taz) - Sein neues Amt macht Gorbatschow schwer zu schaffen. Er hatte sich als Vermittler in nationalen Konflikten präsentiert: der Kongreß nahm ihn beim Wort und beauftragte den frischgebackenen Präsidenten, die Sicherheit aller Bürger in Litauen zu gewährleisten. In einer am Donnerstagabend mit 1.463 gegen 94 Stimmen angenommenen Resolution wird die Unabhängigkeitserklärung der Baltenrepublik für verfassungswidrig und ungültig erklärt. Die Beschlüsse des Obersten Sowjets der litauischen SSR widersprechen, so der Beschluß, dem Recht der Bürger aller Unionsrepubliken. Die litauischen Bürger werden aufgerufen, vernünftig zu sein. Der Antrag war vom Vorsitzenden der Nationalitätenkammer des Obersten Sowjet der UdSSR, Rafik Nischanow, eingebracht worden.

In der Debatte hatte Gorbatschow den Kongreß gedrängt, zum Litauen-Problem Stellung zu nehmen und dabei Achtung für das litauische Volk zu bewahren. Auf einer Pressekonferenz nannte er den Kongreßbeschluß „notwendig“, sprach sich aber für Dialog zwischen Moskau und Vilnius aus. Wie er mit einem solchen Kongreßauftrag in Vilnius Gehör finden will, ohne den Kongreß zu ignorieren, sagte er nicht. Daß er die Lage im Land „widersprüchlich“ nannte, kann in dieser Situation kaum verwundern.

Den Litauern war der Kongreßbeschluß egal. Präsident Landsbergis sagte, die Entschließung könne nicht anerkannt werden, da Litauen ja nun unabhängig sei. Ein Sajudis -Vertreter meinte, die auf den heutigen Samstag vertagte Sitzung des litauischen Parlaments müsse nicht vorzeitig einberufen werden. Sajudis kündigt jedoch für heute eine Großkundgebung gegen den Beschluß an. Morgen will dann die Bewegung „Jedinstwo“ (Einheit) zusammen mit der KPdSU -Plattform in der litauischen KP und der Garnison der Sowjetarmee in Vilnius demonstrieren und ein Referendum über die Zukunft Litauens fordern.

Währenddessen ging die Sitzung des ZK der KPdSU, die Gorbatschow einberufen hatte, um sich zum Präsidenten vorschlagen zu lassen, am Freitag weiter. Das ZK befaßte sich mit einem Entwurf zu einem neuen Parteistatut und mit der Vorbereitung des für Juli 1990 geplanten Parteitages. Der Gorbatschow-Zirkel bereitet für den Parteitag neue Thesen zur Umgestaltung der KPdSU in eine sozialdemokratisch orientierte Partei vor.

Dominic Johnson

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