: Der aufhaltsame Aufstieg des Saddam H.
Seit 22 Jahren regiert im Irak eines der brutalsten Polizeiregimes der Welt / Prozesse gegen Nichtanhänger der Baaht-Partei alltäglich ■ Von Jean Gueyras
Seit ihrer Machtergreifung im Juli 1968 führten die neuen irakischen Machthaber eine Reihe politischer Prozesse gegen diejenigen, die nicht zur Baaht-Partei gehörten, und die der Spionage für Israel, die USA und andere „imperialistische Mächte“ bezichtigt wurden.
Der spektakulärste dieser Prozesse war derjenige, bei welchem am 26. Januar 1969 sechzehn Personen - darunter 10 Juden - zum Tode verurteilt wurden. Am nächsten Morgen wurden vierzehn von ihnen auf dem Platz der Republik in Bagdad erhängt. Hunderttausende von Irakern, von Baath -Aktivisten herbeigekarrt, sahen zu.
Diese makabre Inszenierung hat dem Baath-Regime seinen Stempel aufgedrückt. Von jetzt an war seine Geschichte die einer Abfolge mehr oder weniger regelmäßiger, unbarmherziger Abrechnungen, Schnellprozesse und Soforthinrichtungen. 1971 wurde der Ex-General Hardan el-Takriti, einst Mitglied des Revolutionsrates, in seinem Kuwaiter Exil ermordet. Er wurde als ein möglicher Rivale für Saddam Hussein angesehen, der damals die Macht mit dem ältlichen und moderaten Baathisten Hassan el-Bakr teilte.
Im Juli 1978 war der Ex-Premierminister Abdel Rassak el -Najef an der Reihe. Er hatte für kurze Zeit mit der Baath kollaboriert und wurde auf den Stufen des Londoner Intercontinental Hotels erschossen. Das führte zu einer leichten und kurzlebigen Verstimmung zwischen Großbritannien und Irak. Zur selben Zeit wurden mehrere PLO-Kader, darunter Jessedin Kalak und Sajjid Hammami, die die Organisation in Paris und London vertraten, von Mitgliedern der Abu-Nidal -Gruppe ermordet, welche damals in Bagdad Wertschätzung genoß.
Alle diese Liquidierungen halfen Saddam Hussein, der Nummer zwei des Regimes aber bei weitem einflußreichste der Bagdader Machthaber. Der Aufstieg dieses starken Mannes von Bagdad schien unaufhaltsam. Ein klug inszenierter Personenkult machte aus ihm schon damals praktisch die Nummer Eins. Präsident Hassan al-Bakr, durch Krankheit geschwächt und mit den Methoden seines Genossen unzufrieden, verschwand langsam von der politischen Bühne. Am 16. Juli 1979 übergab er die Macht an Saddam Hussein, was dieser mit einer der blutigsten Säuberungen in der Geschichte der Baath -Partei feierte.
Am 9. August 1979 wurden 21 hochrangige Persönlichkeiten von Partei und Regierung - darunter der berühmte Wirtschaftsexperte Adnan Hussein der zuvor von seinem Freund Saddam Hussein zum Vize-Premier ernannt worden war - im Morgengrauen hingerichtet. Sie hatten sich zuvor in einem Schnellverfahren des „Verrats an der Partei und der Revolution“ zum Vorteil der fremden Macht Syrien schuldig „bekannt“, obwohl Irak und Syrien gerade einen Vereinigungsvertrag unterzeichnet hatten. Um den Vorrang der Parteimoral vor allen anderen Gefühlen zu unterstreichen, wurde die Hinrichtung der 21 von einem Kommando vorgenommen, das aus „zivilen und militärischen Aktivisten der irakischen Baath-Partei von allen Regionen des Landes, mit ihren eigenen Waffen“ bestand.
Präsident Saddam Hussein nutzte diese blutige Säuberung außerdem zur Verurteilung und Hinrichtung von Abdel Khalek Sammarai, einer der historischen Führer der Baath-Partei, der sich seit Juni 1973 in Haft befand. Es scheint, daß Saddam sich mit der Eliminierung dieser Person einer Figur der Baath-Partei entledigen wollte, deren Prestige ihn in den Schatten stellte und seine persönliche Macht gefährdete. Es war auch kein Geheimnis, daß Samarrai eine Rückkehr zum Mehrparteiensystem und zur Demokratie befürwortete. Mit diesem Blutbad führte Saddam Hussein das Regime unwiderruflich auf den Weg der Unterdrückung. Sie richtete sich gegen die kurdische Autonomie-Bewegung, die ihre Waffen nicht niedergelegt hatte, gegen die mächtige KP, die durch die Hinrichtung derjenigen, die nicht in den Untergrund abtauchen konnten, dezimiert wurde, und gegen die Schiiten, die die Mehrheit der Bevölkerung darstellen und von der iranischen Revolution beeinflußt wurden.
Die Repression gegen die irakischen Schiiten war besonders brutal. In Vergeltung für die von der schiitischen Dawa -Gruppe organisierten Attentate ließ Saddam Hussein den geistlichen Führer der Schiiten, Ajatollah Bagher Sadr, vom Geheimdienst entführen. Er wurde ohne Gerichtsverhandlung am 9. April 1980 zusammen mit seiner Schwester hingerichtet. Laut amnesty international wurden zwischen Juli 1979 und Februar 1980 66 irakische Schiiten - religiöse Führer, Lehrer und Studenten - umgebracht. 1983 wurden 90 Mitglieder der Al-Hakim-Familie, größtenteils Religiöse oder Intellektuelle, verhaftet; sechzehn wurden hingerichtet mit dem Ziel, auf die Familie, die von Teheran aus die schiitische Opposition leitete, Druck auszuüben.
Der Krieg gegen den Iran, den Saddam Hussein im September 1980 vom Zaun brach, stärkte seine Macht weiter. Der Personenkult nahm seitdem gigantische Ausmaße an. Bilder von Saddam Hussein sind überall. Die politische Opposition hat mangels Mitgliedern schon längst ihre Aktivitäten eingestellt. Die Niederlage der irakischen Armee bei Khorramschar im Mai 1982 verdüsterte jedoch das Bild des Präsidenten (der zugleich Präsident der Republik, des Revolutionsrates, der Regionalführung der Baath-Partei sowie Vize-Generalsekretär der Baath-Führung, Premierminister und Oberkommandeur der Streitkräfte ist). Die Starrköpfigkeit des Imam Khomeini, der sich weigerte, mit der geschlagenen irakischen Armee Frieden zu schließen und stattdessen auf die heiligen Stätten Nadschaf und Kerbala marschieren wollte, rettete endlich den Präsidenten, der für das irakische Volk zum Symbol des Widerstandes gegen die „persische Invasoren“ wurde.
Die „Furcht vor dem Khomeinismus“ verleitet auch die Supermächte, das Bagdader Regime zu unterstützen. Sie lieferten alles was zur Vermeidung der Niederlage im Krieg notwendig war. Dazu schließen sie die Augen oder sehen zumindest weg, wenn es um Menschenrechtsverletzungen der irakischen Armee geht, darunter besonders der Einsatz chemischer Waffen gegen Iran und insbesondere gegen die kurdische Bevölkerung
Diese internationale Nachsichtigkeit hat zweifellos die Macht Saddam Husseins nocht gestärkt. Aber seine Stärke liegt hauptsächlich in seiner Kontrolle über den Baath -Parteiapparat, den er auf sich zurechtgestutzt hat. Mit der Hilfe zehntausender Aktivisten, die ihr total ergeben sind, kontrolliert die Partei den Großteil des Lebens im Irak. Im Laufe der Jahre ist sie überall präsent geworden und hat zu ihrer Verfügung eine militärische Abteilung, die die Armee kontrolliert, einen allumfassenden Geheimdienst (den Mukhabarat) und Volksmilizen, die jegliche bonapartistische Neigung im Militär verhindern sollen.
Solchermaßen geknebelt, ist der Irak ein Land, in dem der Beruf eines Journalisten schwierig ist. Auch wenn er arabisch kann, hat er kaum die Chance, einen Gesprächspartner zu finden, der sich trauen würde, von etwas anderem als dem Wetter zu reden. Der Schleier des Schweigens, mit dem die Baath das Land erfolgreich überzogen hat, hat kaum eine Lücke und keiner kann ihn brechen, ohne die schlimmsten Folgen erwarten zu müssen.
Aus 'Le Monde‘, 17. 3. 1990
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