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Vitaminsaft aus dem Radio

■ Im Rundfunkt täglich außer am Wochenende 80 Minuten Werbung / Runder Tisch vor Wochen vehement dagegen / Im Kontrollrat bei Vorlage des Rundfunkkonzeptes kaum noch Einwände

„Mami, Mami, Papa hat Frühstück gemacht!“, tönt es durch die Wohnung. Und es folgt der Hinweis, daß es der Vitaminsaft mit der Kraft von x Orangen ist, der da auf dem Tisch steht.

Es ist also soweit: Unser derzeit noch volkseigene Rundfunk integriert uns dezent in die Konsumgesellschaft, die Anbieter halten sich den Markt warm. Das Werbekonzept des DDR-Rundfunks ist vom Medienkontrollrat gebilligt worden.

Vor Wochen noch hatte sich der Runde Tisch vehement gegen Produktwerbung in den elektronischen Medien gewandt. Als der Fernsehfunk vor zwei Wochen eine Ausnahmegenehmigung für sich erwirkte, gab es im Kontrollrat zumindest noch Debatten. Bei der Vorlage des Rundfunkkonzeptes hatte man nur ein paar Anfragen, kaum noch Einwände.

Fest steht nun: Mit Ausnahme des Kultur- und Bildungssenders Radio DDR II wird es in allen Programmen täglich außer sonn- und feiertags 80 Minuten Werbung geben. Mit der Umgestaltung zur öffentlich-rechtlichen Anstalt will sich der Hörfunk von staatlichen Finanzen frei machen.

Das Geld wird vor allem für wichtige Technik-Importe, Lizenzen und Spesen gebraucht. Allein für die notwendigsten Ersatzausrüstungen, die im wesentlichen nur aus Westeuropa und Japan importiert werden können, sind jährlich sieben Millionen Valuta-Mark erforderlich. Funkwerbung erschließt dafür die zunächst am schnellsten erreichbaren Geldquellen.

Nach der generellen Werbegenehmigung des Medienkontrollrats ist es jetzt die interne Angelegenheit des Rundfunks, wie er die Mittel verteilt. Aber gerade da könnte es problematisch werden. Die zentralistische Struktur des Rundfunks hat nämlich Hauptabteilungen hervorgebracht, die zwar alle Sender beliefern, aber vom zukünftigen kommerziellen Erfolg dieser Sender nicht profitieren können, weil sie selbständig wirken (Nachrichten, Außenpolitik). Sie sind auf „Zuteilung“ von der Generalintendanz angewiesen, was wiederum neue Abhängigkeiten schafft.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Jugendradio DT 64 entgegen vorheriger Absprachen im Hörfunkbeirat auf Wunsch der Belegschaft doch noch in das Werbekonzept integriert werden wollte. Als lukrativer Sender will man selbstbewußt mitreden können, wenn die Gelder verteilt werden.

Der ohnehin, angesichts massiven Überschwappens marktwirtschaftlicher Elemente in unser Mediensystem, etwas hilflos wirkende Medienkontrollrat dringt in solche Zusammenhänge kaum ein, mal ganz abgesehen davon, daß ihm zum Beispiel entgangen ist, wie einzelne Regionalsender das Werbeverbot des Runden Tisches schon länger ignoriert hatten. Stattdessen bemüht sich der Rat, der sich selbst immer wieder nach seinen Kompetenzen befragt, darum, den schädlichen Einfluß der Werbeinhalte zurückzudrängen.

Werbung, die eine Kauf- oder Konsumaufforderung an Kinder beinhaltet, ist nicht erlaubt. Auch ökologisch unverträgliche Produkte, rezeptpflichtige Arzneimittel und Tabakprodukte sind ausgeschlossen. (Sind Cola-Büchsen, Waschpulver, Autos ökologisch verträglich?) Und weil für den Fernsehfunk Alkoholwerbung vor 19.20 Uhr untersagt ist und im Rundfunk nach 19.00 Uhr Reklame generell nicht zur Debatte steht, haben die Ratsmitglieder Alkoholwerbung im Rundfunk abgelehnt.

Als das Werbekonzept einstimmig akzeptiert war, kam vom Rundfunkvertreter die Nachfrage: „Aber Bier ist doch nicht Alkohol?!“ Doch die ging schon im Pausengemurmel unter.

Til Thomas

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