Im Strudel des Nationalismus

■ Interview mit dem ungarischen Schriftsteller G. Dalos zum Nationalitätenkonflikt in Rumänien / „Die Unruhen werden von rechtsnationalistischen Parteien dirirgiert

taz: Nach der Revolution in Rumänien sah es so aus, als ob eine friedliche Lösung der Minderheitenprobleme von beiden Seiten aus möglich werden würde. Warum jetzt dieser Ausbruch von Haß und Gewalt?

G. Dalos: Was sich jetzt in Rumänien abspielt, ist Ausdruck eines tieferliegenden Problems der ganzen Region. Wir erleben hier eine Art barbarischer Demokratie, ohne nennenswerte Traditionen, ohne verankerte Strukturen. Der Nationalismus wird überall zu einer Bewährungsprobe, die angesichts der düsteren Vergangenheit dieser Völker kaum zu bestehen ist.

Damit meine ich nicht nur die Periode des Stalinismus, sondern eine Vorgeschichte von mehreren hundert Jahren.

Die jungen Nationen in dieser Weltgegend definierten sich fast immer durch Haß und Ressentiments gegenüber den anderen Nationen.

Jetzt werden wir wieder Zeuge dieser Tragödie des Hasses. Ich sage Tragödie, nicht nur weil Menschen wegen der Zugehörigkeit zu einer Minderheit totgeschlagen oder blindwütig malträtiert werden, wenn sie schon wehrlos sind.

Es ist auch tragisch gegenüber der rumänischen Demokratie und gegenüber unserer Freiheitsbewegung, die jetzt in den Strudel des Nationalismus gerät.

Waren die Forderungen der ungarischen Minderheit für die rumänische Seite annehmbar, oder tragen beide Seiten Verantwortung für die Zuspitzung der Lage?

Ich bin sehr kritisch gegenüber dem ungarischen Nationalismus, aber ich habe seit Dezember mit Bewunderung gesehen, wie maßvoll und zurückhaltend sich die Vertreter der ungarischen Minderheit in Rumänien verhalten haben. Alles, was sie taten, war eigentlich auf Versöhnung ausgerichtet.

Konkret gab es zwei Forderungen: die Wiederherstellung der rumänisierten ungarischen Schulen und die Möglichkeit, ungarische Schulmaterialien und Presseerzeugnisse ungehindert über die Grenze bringen zu können. Beide Verbote hatten zum Kern des Ceausescu-Regimes gehört.

Ich denke, daß diese Forderungen legitim und überhaupt nicht extremistisch waren. Sie wurden zum Anlaß der Unruhen, die eindeutig von rumänischen rechtsnationalistischen Parteien dirigiert worden sind.

Wie hat sich die rumänische Regierung zu diesen Forderungen verhalten?

Von Stunde zu Stunde anders. Die rumänische Führung, das heißt sowohl die Militärs, die eine Art milder Diktatur ausüben, als auch die Reformkommunisten haben furchtbare Angst vor der rumänischen „nationalen Wiedergeburt“.

Es ist eine absurde Wiederholung der halb-demokratischen Revolution von 1878.

Ist die ungarische Minderheit materiell privilegiert gegenüber den Rumänen?

Unter Ceausescu waren die Unterschiede nicht mehr groß. Familienverbindungen nach Ungarn brachten es mit sich, daß die Minderheit an dem bescheidenen ungarischen Wohlstand partizipieren konnte.

Mal ein Käse, eine Salami. Aber angesichts des Massenelends können natürlich auch solche Kleinigkeiten Neid erzeugen.

Hinter dem Pogrom steht die „Wiege Rumäniens“. Was ist das für eine Organisation?

Sie steht in der Tradition der militanten nationalistischen Organisationen der 20er Jahre, wie es sie sowohl in Ungarn als auch in Rumänien gegeben hatte. In beiden Ländern herrschte in der Zwischenkriegszeit ein gemäßigtes autoritäres Militärregime, so daß auch in Rumänien die entsprechenden Organisationen geduldet wurden.

Du sprachst von einer möglichen Stärkung der nationalistischen Kräfte auch in Ungarn.

Ja, denn die nationalistischen Kräfte rechtfertigen sich auch gegenseitig.

Interview: Christian Semler