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Völkermord als Heldenepos

■ Spanien und der 500. Jahrestag der Entdeckung Amerikas

Der katalanische Schriftsteller Manuel Vazquez Montalban brachte die Schwierigkeiten, denen sich die Organisatoren des sogenannten „V.centenario der Entdeckung Amerikas Begegnung zweier Welten“ gegenübersehen, plastisch auf den Begriff, als er kürzlich zu bedenken gab: Wenn diese sich mit den Indios, mit Kolumbus, dem Eroberer Pizarro und dem Pentagon gleichermaßen zu arrangieren versuchten, dürfte sich die Veranstaltung des Jahres 1992 in ein „ungenießbares Tuttifrutti“ verwandeln. Auch andere Kritiker melden sich verstärkt zu Wort, vor allem auf den Seiten der linksliberalen Madrider Tageszeitung 'El Pais‘. Kann man ein historisches Datum, fragen vor allem Lateinamerikaner, in dessen Folge sich „der größte Genozid der Menschheitsgeschichte“ (Todorov) ereignete, zu einem Heldenepos stilisieren? Genau darum scheint es sich zu handeln, trotz aller Beteuerungen, in Sevilla ginge es um eine kritische Bilanz der Geschichte.

So drohte der hiesige Botschafter Spaniens im August 1987, die Exponate der Ausstellung Gold und Macht - Spanien in der Neuen Welt unverzüglich zurückzuziehen, sollten die Veranstalter sich weigern, einige kritische Passagen der Begleitbroschüre zu streichen, die, so der Diplomat, mit „überkritischen Sätzen (...) Spaniens Werk in Amerika beanstanden“. Ein anderes Beispiel datiert von '89. Den Madrider Gesandten in Caracas brachte die Premiere eines Theaterstücks über die spanischen Konquistadoren in Harnisch, da diese darin in „herabsetzender Weise lächerlich“ gemacht würden. Das inkriminierte Stück stammt interessanterweise aus der Feder eines spanischen Autors, der als Franco-Gegner dort Asyl gefunden hatte. Mit seiner Gegenkritik, in der spanischen Botschaft existierten wohl noch immer Faschismusreste, machte die dortige Presse ihre Titelseiten auf.

Illustrieren diese Beispiele, daß wachsende Teile der Öffentlichkeit koloniale Attitüden nicht mehr widerspruchslos akzeptieren, auch wenn diese im Falle Spaniens ziemlich anachronistisch wirken, indizieren sie zugleich die extreme Sensibilität eines Teils der spanischen clase politica und ihres intellektuellen Umfeldes, die das „Trauma von 1898“, als mit Kuba und Puerto Rico die letzten Kolonien in Übersee verloren gingen, noch immer nicht völlig überwunden hat.

Bereits lange vor diesem Datum hatte sich eine panhispanistische Bewegung konstituiert, deren Ziel darin bestand, das rien ne va plus des Unabhängigkeitskrieges zu Beginn des 19. Jahrhunderts wenigstens kulturell wettzumachen. Diese, im Tenor larmoyante, „lyrisch -oratorische Bewegung“ (Pike) verstand sich von Anfang an als Gegenbewegung zum allmählich erstarkenden

Panamerikanismus der USA, war diesem, wie der spanisch -amerikanische Krieg von 1898 deutlich machte, materiell jedoch hoffnungslos unterlegen. Umso mehr setzte der Panhispanismus auf das vermeintlich „gemeinsame kulturelle Erbe“, vor allem in Sprache, Literatur und Geschichtsschreibung. Lediglich die eher liberalen Varianten verstanden die kulturellen Beziehungen auch als ersten Schritt zu einer zukünftigen Wirtschaftskooperation. Von Ausnahmen abgesehen wie etwa der Bedeutung von Kuba für die katalanischen Textilexporteure wurde die „ökonomische Schiene“ der kulturellen indes stets nachgeordnet. Amerika blieb, wie bereits seit langem, ein primär europäisches Geschäft, an dem sich die USA nun sukzessive beteiligten. Bevor der Panhispanismus in seiner faschistischen, kulturimperialistischen Hispanitäts-Version zur offiziellen Staatsdoktrin des Franquismus avancierte anfänglich übrigens mit Unterstützung exponierter NSDAP -Repräsentanten -, ließ sich mit Blick auf Lateinamerika eine Art Grundkonsens konstatieren, der teilweise auch Sozialisten und Anarchisten umfaßte. Dieser bestand unter anderem in der Überzeugung, die neuen Republiken stünden aufgrund ihres Erbes dem Mutterland gegenüber in moralischer Schuld, weshalb diesem besondere Rechte zustünden. Auch die sogenannten transterrados, vor allem Tausende von Künstlern und Intellektuellen, die sich nach dem Exodus von 1939 in lateinamerikanischen Ländern niederließen, stellten diesen Grundkonsens, so der bisherige Forschungsstand, nur vereinzelt in Frage.

Seit 1975/76, dem Beginn der Demokratisierung, lassen sich nunmehr erstmals in der spanischen Geschichte nennenswerte Strömungen ermitteln, von denen zumindest eine zahlreiche Mythen der Vergangenheit einer nüchternen Betrachtung unterzieht. Soweit bisher erkennbar ist, wird diese vor allem von exponierten Intellektuellen gebildet, über deren Wirkungsradius allerdings nur spekuliert werden kann. Die bislang bekannteste Attacke erschien in 'El Pais‘ und stammt aus der Feder des renommierten Schriftstellers Rafael Sanchez Ferlosio. Der bekannte Franco-Gegner lehnt den geplanten centenario als „unwürdiges Festival“ und „Sevillaner Disneyland“ entschieden ab, da jede Art von Gedenkveranstaltung per definitionem apologetisch sei. Das Hauptmotiv der Veranstaltung sieht er in dem Bemühen, einen Teil der „Größe“ früherer Zeiten zurückzugewinnen beziehungsweise endlich jene internationale Anerkennung als ehemaliges Imperium zu erfahren, die etwa Großbritannien immer zuteil geworden sei. Markt- und Machtinteressen („Brückenkopffunktion“), in denen einige Beobachter die Haupt

motive sehen, hält Ferlosio wohl zurecht für sekundär. Auch einige Eckpfeiler der panhispanistischen Geschichtsschreibung bezeichnet der Autor als historische Legenden. So sei der spanische Kolonialismus, etwa im Vergleich zu seinem angelsächsischen Pendant, keineswegs „humaner“ gewesen, wie die offiziöse Historiographie suggeriert. Das beweise auch der sogenannte mestizaje americano, die amerikanische „Rassenvermischung“. Diese sei ausgesprochen asymmetrisch verlaufen, denn schließlich hätten sich nur die weißen Konquistadoren mit nichtweißen Frauen liiert, was einer ethnischen Vergewaltigung gleichgekommen sei.

Andere, zum Teil auch hierzulande bekannte Autoren, die sich seit einiger Zeit an der Debatte beteiligen, wie der Romancier Juan Goytisolo und der eingangs zitierte Vazquez Montalban, gehen mit dieser Kritik im Kern konform: letzterer sieht trotz starker Vorbehalte allerdings auch die Chance, daß sich die Begegnung zumindest partiell als Forum für einen echten interkulturellen Dialog eignen könnte. Der streitlustige Autor nimmt dabei zugleich lateinamerikanische Intellektuelle ins Visier, deren Antihispanismus, so seine Sicht, zum Teil aus historischen Tabus resultiere. Denn diese „indigenistischen Sektoren“ vergäßen bei aller berechtigten Kritik, daß die Situation Lateinamerikas, insbesondere die der indigenen Bevölkerung, auch und vor allem mit postspanischen Ausbeutungsvarianten im Zusammenhang stehe, namentlich mit derjenigen der spanischstämmigen Kreolen, deren Nachkommen und, so paradox es klingen möge, objektive Nutznießer sie seien, zumindest, was ihren „ideologischen Apparat“ und ihre „exzellente Bildung“ betreffe.

Wie die Beispiele zeigen, dürften die Kontroversen in den nächsten zweieinhalb Jahren an polemischer Schärfe, auch innerhalb der Linken, sicher noch zunehmen. Dem eher konservativen Lager, unter Einschluß der Regierungssozialisten, stehen vermutlich nicht minder kontroverse Debatten ins Haus. Deren ideologische Spannweite reicht von quijotesken Phantasiegebilden, die ökonomischen Impulse des centenario würden Andalusien „modernsieren“ bis zu liberal drapierten Positionen wie der primus inter pares-Rhetorik des Königs, die eher sprachliche Innovationen darstellen.

Kaum weniger komplex ist die Positionenpalette in Lateinamerika. Sie reicht von indigenistisch -antiimperialistischen Gegnern des centenario, die unter anderem auch hierzulande - Gegenveranstaltungen organisieren werden, über dialog- und partizipationsbereite Intellektuelle und Regierungen, die, wie Kuba und Nicaragua, gleich

wohl kritische Vorbehalte formulieren, bis hin zu besonders hispanophilen Kreisen, wie der dominikanischen Regierung. Dort heißt die Vorbereitungskommision ungebrochen ethnozentristisch: „Kommission zur Feier (sic!) des V.Centenario der Entdeckung und Evangelisierung (sic!) Amerikas.“

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