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Währungsunion mit Hindernissen

Der französische Ökonom Emil-Maria Claassen beschäftigt sich mit den Argumenten für eine schnelle Währungsunion: 100prozentige Preiserhöhungen, Reallohnsenkungen auch in der BRD und massive Steuerprobleme wären die Folge  ■ D E B A T T E

Die meisten deutschen Ökonomen sind von der Eile irritiert, mit der der Bundeskanzler und die Oppositionsparteien - mit der Ausnahme der Grünen - die Wirtschafts- und Währungsunion realisieren wollen. Viele von ihnen schlagen eine stufenweise Integration vor. Die Einführung einer gemeinsamen Währung müßte am Ende des Integrationsprozesses stehen. Es gibt jedoch zwei Argumente, die den Politikern praktische keine andere Wahl lassen als eine radikale Währungsreform, um die Wirtschaftsunion zu beschleunigen.

BRD-Arbeitnehmer zahlen für die DDR

Erstens entwickelt sich eine kritische und wohl bald katastrophale Lage auf dem Arbeitsmarkt der BRD (und auch auf dem Wohnungsmarkt). Es bildet sich ein geschichtlich einzigartiges Phänomen. Der Arbeitsmarkt ist institutionell vereinigt (perfekte Mobilität der Arbeitskraft), aber es gibt enorme Einkommensunterschiede, die auch weiter bestehen werden. In einer Marktwirtschaft wird sich die Abwanderung der Arbeitskraft von Ost nach West und die des Kapitals von West nach Ost solange fortsetzen, bis die Lohndifferenz einen kritischen Punkt erreicht hat.

Die dafür notwendigen Lohnsenkungen in der BRD wird es aber nicht geben. Die westdeutschen Gewerkschaften sind einmütig gegen ein Absinken des Realeinkommens, welches einen Teil der durch den fortdauernden Migrationsfluß verursachten Arbeitslosigkeit auffangen könnte. Dieser Widerstand wird um so größer sein wenn, aller Wahrscheinlichkeit nach, nach den Bundestagswahlen im Dezember die Nettolöne sinken: die Steuerlast wird wachsen, um die Transferleistungen (Arbeitslosenunterstützung und Rentenversicherung) und Infrastruktur-Investitionen in der DDR zu finanzieren.

Der einzige mögliche Weg für die BRD-Politiker ist der, die Übergangsperiode, in der die Arbeitslosigkeit in der DDR in die Höhe schnellt, so kurz wie möglich zu halten. Da man die Betonmauer nicht durch eine Wirtschaftsmauer ersetzen kann, muß also die Wirtschaftsunion so schnell wie möglich realisiert werden.

Glaubwürdigkeit erhalten

Der zweite Grund, die Einheit zu forcieren, liegt in der Glaubwürdigkeit des vorgeschlagenen Programms: diese hängt von der im Programm vorgesehenen Anpassungszeit ab. Nehmen wir die Inflationsbekämpfung. In den letzten zehn Jahren haben alle Industriestaaten eine Anti-Inflations-Politik der graduellen Art gewählt, und sie hatten damit vollen Erfolg. Doch wenn diese Staaten mit einer hyperinflationären Ausnahmesituation konfrontiert gewesen wären, hätte diese graduelle Politik keine Glaubwürdigkeit besessen und sie wäre wahrscheinlich gescheitert. Das beweisen die vielen Beispiele aus Lateinamerika.

Die Glaubwürdigkeit ist mit dem Begriff des Vertrauens und der Motivation verbunden. Wie kann man den DDR-Bürgern einen Anreiz bieten, zuhause zu bleiben? Eine graduelle Wirtschaftspolitik ist immer umkehrbar, und daher weniger glaubwürdig. Die Leute sind nicht dumm, und sie wissen, daß die Kosten der Anpasung enorm hoch sind. Sie wollen, daß die Übergangszeit kurz und radikal ist. Darüberhinaus wissen sie, daß die Kosten der Anpassung durch massive Hilfe aus der BRD gemindert werden.

Was ist die DDR-Mark wert?

Es ist zur Zeit unmöglich, einen Wechselkurs für die Mark der DDR zu errechnen, der einen Gleichgewichtswert darstellen würde. Ist eine D-Mark eine DDR-Mark wert oder fünf oder zehn? Es kann noch keinen adäquaten Wechselkurs geben, solange die gegenwärtige Preisstruktur, die in etwa eine Umkehrung der westlichen ist, beibehalten wird. Die inneren Tauschverhältnisse stehen in einem völligen Mißverhältnis zu den wirklichen Kostenverhältnissen. Eine Bedingung für die innere und außere Konvertibilität der DDR -Mark ist die Angleichung der relativen Preise an die der westlichen Staaten.

Das Programm der Währungsunion sieht vor, daß die Preise in der DDR (aber nicht unbedingt die Geldmenge) in einem Eins -zu-Eins-Verhältnis umgestellt werden. Diese einfache Maßnahme setzt eine fast sofortige Preisreform voraus. Da die D-Mark, die in der DDR eingeführt wird, vollständig konvertibel ist, müssen die Preise der Güter, die dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind, diejenigen in der BRD und den anderen westlichen Industrienationen reflektieren. Andernfalls gäbe es eine Massenausfuhr preiswerter Güter und eine Masseneinfuhr teurer Produkte.

Die sofortige Angleichung der relativen Preise an die internationalen Strukturen setzt starke Preiserhöhungen für Konsumgüter voraus, was starke Reallohnverluste bedeuten wird. Da die „lebensnotwendigen“ Konsumgüter den Großteil des gewichteten Preisindexes ausmachen, könnte dieser um mehr als 100 Prozent steigen. Gegenwärtig ist ein solches Phänomen in Polen zu beobachten. Diese scheinbare „Inflation“ ist nicht in der Geldmenge begründet, sondern ergibt sich aus der Abschaffung der Mißverhältnisse in der Preisstruktur.

Die Reallöhne in der DDR müssen sich am Produktivitätsniveau orientieren. Sagen wir, die Produktivität ist in der DDR halb so hoch wie in der BRD: wenn diese offizielle Schätzung stimmt, muß der Reallohn ebenfalls die Hälfte dessen in der BRD betragen, und die Abwanderung wird sich fortsetzen. Die Bundesregierung muß sich also bemühen, die Nettolohndifferenz zu reduzieren, indem die Löhne in der BRD stärker besteuert werden und eine negative Steuer auf die DDR-Einkommen erhoben wird.

„Dollarisierung“ der DDR-Wirtschaft

Mit der Einführung der D-Mark als einzigem legalen Zahlungsmittel gibt die DDR ein wichtiges Element ihrer Souveränität auf. Dieser monetäre Anschluß wäre nicht weiter schlimm, wenn man auch die Idee zweier deutscher Staaten aufgeben würde, jetzt oder in einigen Monaten. Dieser Typus der Währungsunion - der nichts anderes ist als eine Dollarisierung“ der DDR-Wirtschaft, aber unter dem Banner der D-Mark - etabliert mit sofortiger Wirkung die endgültige Grundlage für die deutsche Einheit.

Die Maßnahmen für die Verpflanzung der D-Mark in die DDR sind unbekannt, aber man kann annehmen, daß die Bundesbank Vorsicht walten läßt, um einen Inflationsherd, der sich in die BRD ausbreiten würde, zu vermeiden. Es gibt mehrere Auswahlmöglichkeiten für die Bundesbank: Verteilung eines Einheitsbetrages an jeden Haushalt und Lohnempfänger; teilweise oder vollständige Konversion der Geldmenge; teilweise Konversion oder vollständiges Einfrieren der Sparkonten.

Die Inflationsgefahr ist für die BRD relativ gering. Ein Zahlenbeispiel belegt dies. Das Bruttosozialprodukt der DDR wird allgemein auf ein Zehntel des der BRD geschätzt. Falls die Bundesbankschätzung des DDR-Geldmengenbedarfs vom DDR -Bruttosozialprodukt um 10 Prozent abweicht, ist das Inflationspotential für die beiden Staaten also nur ein Prozent der beiden Bruttosozialprodukte.

Die Finanzmärkte scheinen sich bereits auf diese Möglichkeit eingestellt zu haben. Nach der Ankündigung des Programms der Währungsunion blieb der Wechselkurs der D-Mark gegenüber dem US-Dollar stabil. Im Gegensatz dazu sind die internationalen Zinssätze um einiges gestiegen, in der Erwartung eines hohen Haushaltsdefizits in der BRD.

Der Autor ist Professor an der Universität Paris -Dauphine. Der Beitrag stammt, leicht gekürzt, aus 'Le Monde‘ vom 3. April.

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